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Warum es im Saarland so wenig Sozialwohnungen gibt

735 Sozialwohnungen: Mit dieser Zahl erreicht das Saarland einen traurigen Spitzenwert. In keinem anderen Bundesland gibt es so wenig öffentlich geförderte Wohnungen. Was passieren muss, damit mehr bezahlbarer Wohnraum geschaffen wird. 

VdK-Wohnexperte Wolfgang Lerch im Interview mit dem Saarländischen Rundfunk zum 10-Punkte-Programm des Bündnisses Bezahlbarer Wohnraum Saar. © Maria Wimmer/VdK Saarland

„Es gibt im Saarland praktisch keinen sozialen Wohnungsbau mehr – weder öffentlich noch privat“, sagt VdK-Wohnexperte Wolfgang Lerch. Seit 2005 sei die Zahl der Sozialwohnungen um 90 Prozent von 5.000 auf derzeit 735 gesunken. Ein neu gegründetes Bündnis „Bezahlbarer Wohnraum Saar“ Externer Link:hat im Juni ein 10-Punkte-Programm vorgelegt, um einen Neustart in der Wohnungspolitik zu initiieren. Bündnispartner ist neben der Arbeitskammer, dem DGBkurz fürDeutscher Gewerkschaftsbund und der IG BAU auch der Sozialverband VdK Saarland.

Hohe Eigenheimquote

Die Gründe sind vielfältig. Jahrelang sei das Problem schöngeredet und nicht erkannt worden. Zudem habe sich das Land auf der bundesweit höchsten Eigentumsquote von 60 Prozent ausgeruht (bundesweit 42 Prozent). „Das Problem ist aber, dass vor allem Menschen mit niedrigem Einkommen sich um die wenigen Mietwohnungen ranken“, so Dagmar Ertl von der Arbeitskammer. Im Saarland lebten rund 195.000 Menschen unterhalb der Armutsgrenze, das entspreche 80.000 Haushalten. Jedoch seien viele Wohnungen sanierungsbedürftig und dafür unverhältnismäßig teuer. „In solchen Wohnungen gibt es Schimmel oder es zieht. Die Mieter haben aber keine Alternative, weil sie nichts Bezahlbares finden.“

Das führe dazu, dass im Saarland trotz niedriger Kalt-Mieten die Belastung durch die Wohnkosten über dem Durchschnitt liegt: Mieter müssen hierzulande 40 Prozent des Einkommens ins Wohnen stecken – so viel wie in keinem anderen Bundesland, was auch am hohen Energiebedarf pro Quadratmeter liegt. 

In den 90er Jahren habe es noch einen Überhang von 24.000 Wohnungen gegeben, heute läge die Zahl bei rund 12.000, erläutert Matthias Günther, Leiter des Pestel-Instituts. „Das heißt, dass es eigentlich kein Problem wäre, Geflüchtete unterzubringen.“ Doch viele dieser Wohnungen stünden dem Markt nicht zur Verfügung – weil sie nicht saniert sind oder weil Eigentümer sie nicht vermieten wollen. Ein Lösungsansatz aus anderen Bundesländern könnte sein, dass das Land oder die Gemeinden als Mieter auftreten, um Ängsten bei Eigentümern entgegenzuwirken. 

Bezüglich der Zuwanderung macht Günther deutlich, dass das Saarland pro Jahr 12.000 Zuwanderer brauche, da die Bevölkerung sonst weiter schrumpfe und die Zahl der Arbeitskräfte immer mehr abnehme – im Gegensatz zu anderen Bundesländern. 

Hinzu kommt durch die Überalterung der saarländischen Bevölkerung ein höherer Bedarf an seniorengerechten Wohnungen, auf den der saarländische Wohnungsmarkt nicht vorbereitet ist. Laut Pestel-Institut fehlen im Saarland 40.000 barrierefreie Wohnungen. Aktuell verfügen 83 Prozent der Seniorenwohnungen noch nicht einmal über einen stufenlosen Eingang. Und das angesichts der Prognose, dass die Zahl der über 67-Jährigen bis 2035 um 21 Prozent ansteigen wird. 

5000 Wohnungen als Ziel

Laut Pestel-Institut fehlen im Saarland 13.000 Sozialwohnungen, um den Bundesdurchschnitt zu erreichen. „Selbst der Bundesschnitt wird als kritikwürdig und zu niedrig eingeschätzt“, sagt Dagmar Ertl. 

Dennoch sind sich die Bündnispartner einig: Wenn die Landesregierung ihr selbst gestecktes Ziel, bis 2027 zumindest 5.000 Sozialwohnungen zu bauen – so viel, wie es im Jahr 2005 bereits gab –, erreichen würde, wäre das ein wichtiger Schritt. 

Im Juni wurde auch das saarländische Wohnraumfördergesetz durch den Landtag verabschiedet. „Endlich, denn das hat fast 18 Jahre gebraucht. Die meisten anderen Bundesländer haben es schon. Jetzt gilt es, dieses Gesetz, das eine gute Grundlage schafft, mit Leben zu füllen und in die Praxis umzusetzen“, sagt Wolfgang Lerch. 

Nur 1300 Euro Förderung

Hauptkritikpunkt des Bündnisses sind die Förderbestimmungen, die in einer Verwaltungsvorschrift geregelt sind. Sie wurden im November 2023 angepasst und sehen 1300 Euro Förderung pro Quadratmeter vor. „Bei den derzeitigen Baupreisen ist es für keinen Bauträger – weder öffentlich noch privat – möglich, Wohnungen so zu bauen, dass sie ohne wirtschaftlichen Verlust für 6,20 Euro pro Quadratmeter vermietet werden können“, sagt Thomas Kreten, stellvertretender Regionalleiter der IG BAU. Wer aktuell baue, müsse Mieten über 14 Euro pro Quadratmeter verlangen. Darum werde derzeit auch nur im Hochpreissegment gebaut. Hinzu komme, dass der Marktanteil gemeinwohlorientierter Wohnungsunternehmen an Mietwohnungen im Saarland mit elf Prozent am niedrigsten ist (bundesweit 29 Prozent).

Deshalb fordert das Bündnis, dass im Saarland entsprechende Strukturen geschaffen werden, um das Bauen wieder attraktiv machen, wie es auch andere Bundesländer tun. In Bayern werde der Quadratmeter mit bis zu 5.000 Euro gefördert, in Schleswig-Holstein mit 3.500 Euro. „Dort waren die Mittel schon Mitte Januar komplett ausgeschöpft“, sagt Günther.

Höhere Bindungsfristen

Eine weitere Forderung: die Bindungsfristen nach oben korrigieren, die derzeit zehn Jahre betragen. In anderen Ländern seien 25 Jahre und mehr Standard. 

Das Bündnis unterstützt zudem die bundesweite Forderung nach einem Sondervermögen für sozialen Wohnungsbau, eine Absenkung der Mehrwertsteuer auf sieben Prozent, eine Quotenregelung von 30 Prozent gefördertem Mietwohnungsbau bei Neubauten, eine Erhöhung der Mittel des bundesweiten KfWkurz fürKreditanstalt für Wiederaufbau-Förderprogramms „Altersgerecht umbauen“ und deutlich schnellere Genehmigungsverfahren. 

An Geld mangelt es beim sozialen Wohnungsbau jedenfalls nicht. Jährlich stehen dem Saarland ab 2025 42 Millionen Euro an Bundesmitteln zur Verfügung, auf die das Land noch 30 Prozent drauflegen muss, insgesamt also 55 Millionen Euro. Hinzu kommen 80 Millionen Euro, die seit 2021 nicht abgerufen wurden. „Die anderen Länder wie Bayern oder Baden-Württemberg nehmen die vom Saarland nicht abgerufenen Bundesgelder gerne für den eigenen sozialen Wohnungsbau“, so Lerch.

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