„Jeder verdient Respekt“
Seit Ende 2019 ist die frühere Geschäftsführerin des Klinikums Saarbrücken auf dem Winterberg außer Dienst. Im Dezember wurde die 63-Jährige als sozial erfahrene Person in den Landesvorstand gewählt. Ihre Erfahrung im Gesundheits- und Sozialwesen will Dr. Susann Breßlein im VdK einbringen.
Susann Breßlein war immer begeisterte Sportlerin – deshalb wollte sie zunächst Sportjournalistin werden und später dann aus Krisengebieten berichten. Doch während eines Praktikums beim NDR riet ihre eine angesehene Moderatorin zum Studium. Also studierte die gebürtige Hamburgerin Volkswirtschaft an der Universität in Saarbrücken, das sie durch die Besuche bei der Verwandtschaft ihres Großvaters, einem Saarländer, gut kannte.
Aus der Journalismus-Karriere wurde letztlich nichts, weil sie das „seltene Angebot“ bekam, zu promovieren. „Danach bin ich im Krisengebiet Krankenhaus gelandet“, sagt sie mit einem Augenzwinkern. Susann Breßlein war erst 27 Jahre alt, als sie sich direkt nach dem Studium und der Promotion auf die Stelle der Verwaltungsdirektion am evangelischen Krankenhaus in Zweibrücken bewarb – und den Posten bekam.
2000 Mitarbeiter
Obwohl sie Berufsanfängerin war, überzeugte Breßlein die Verantwortlichen des Zweibrücker Krankenhauses durch ihr Wissen im Gesundheitswesen und ihre Führungsqualität. Ihr Doktortitel brachte ihr Respekt bei den meist älteren Chef- und Oberärzten ein. Vertrauen zu schaffen und ein gutes Verhältnis zum Personal zu pflegen, waren ihr immer wichtig. „Ich habe vor jedem Respekt – egal ob er Professor oder Mitarbeiter in der Küche ist.“
1993 wechselte sie zum Klinikum Saarbrücken, wo sie bis vor einem Jahr für einen Umsatz von 140 Millionen Euro und 2000 Mitarbeiter verantwortlich war. Als Geschäftsführerin entschied Breßlein über Baumaßnahmen und Investitionen wie medizinische Geräte und verhandelte mit Krankenkassen über das Budget. Als Vorstandsmitglied der Deutschen Krankenhausgesellschaft war sie viel in Deutschland unterwegs und gut vernetzt.
Falsche Anreize
Vehement verteidigt sie das Finanzierungssystem der diagnosebezogenen Fallpauschalen, das 2003 in Deutschland eingeführt worden war – als eines der letzten Länder Europas. „Ich halte das für das beste Verteilungssystem, weil gleiche Leistung gleich bezahlt wird“, findet Breßlein. Davor war Deutschland eines der westlichen Länder, in dem die Patienten am längsten im Krankenhaus verweilten, weil Leistungen pro Tag bezahlt wurden statt pro Fall. „Das waren die falschen Anreize. Patienten wurden länger behalten, weil das mehr Geld brachte“, sagt Breßlein.
Problematisch am neuen System sei aber, dass die zu verteilende Geldmenge und damit die Pauschalen zu niedrig und über die Jahre nicht an die tatsächlichen Kosten der Krankenhäuser – die etwa durch Lohnsteigerungen beim Personal stetig steigen – angepasst wurden. „Die Summe wurde über die Jahre verkleinert. Man hat bewusst in Kauf genommen, dass Kliniken nicht überleben.“
Zudem seien die Investitionen in die Krankenhaus-Infrastruktur, für die die Länder zuständig sind, auf demselben Niveau wie vor zwanzig Jahren. „Die Kliniken bekommen aktuell nur rund 45 Prozent der Investitionen finanziert, die eigentlich notwendig sind. Man wurde gezwungen, immer mehr ‚Einsparpotenziale‘ aus dem Krankenhausbetrieb rauszuquetschen, um Geld für Investitionen zur Verfügung zu haben.“
Zu viele Kliniken
Dennoch ist Breßlein überzeugt, dass es mit knapp 1800 nach wie vor zu viele Kliniken in Deutschland und im Saarland gibt. „Ein Krankenhaus um die Ecke nützt dem Patienten wenig, wenn Ärzte wegen zu geringer Fallzahlen keine Routine haben. Wichtig ist, dass man im Notfall die erforderliche kompetente Versorgung bekommt. Dabei ist nicht die Nähe entscheidend, sondern eine schnelle Erreichbarkeit.“
Durch die Einführung der Fallpauschalen sanken die Verweildauern stark. In Folge wurde Pflegepersonal abgebaut, das heute fehlt. „Das war fatal. Der Pflegenotstand ist zum Teil hausgemacht. Man hätte voraussehen müssen, dass wieder mehr Personal benötigt wird, weil die Arbeit auf den Stationen sich verdichtet. Die Patienten bleiben zwar kürzer, sind aber in dieser Zeit viel pflegeintensiver.“
Zudem seien durch das DRG-System und die verkürzte Verweildauer Versorgungslücken entstanden, da es noch nicht genug Plätze für ambulante oder Kurzzeit-Pflege gab. „Jede politische Entscheidung, jeder Systemwechsel hat Konsequenzen. Die meisten Probleme waren vorhersehbar, Lösungen kamen aber oft zu spät“, kritisiert die Volkswirtin. Im VdK möchte die 63-Jährige genau diese Erfahrung aus dem Gesundheitswesen einbringen, wenn es insbesondere um Themen wie die sinnvolle, erforderliche und bezahlbare medizinische Versorgung und ausreichende Nachsorgeangebote geht.
In ihrem Ruhestand unterstützt sie das Saarbrücker Gesundheitsamt in Teilzeit bei der Corona-Hotline. Und sie genießt es, nicht mehr so unter Druck zu stehen. „Erst als ich aufgehört habe, ist mir aufgefallen, wie viel Verantwortung von mir gefallen ist.“