Kategorie Veranstaltung Pflege zu Hause

„Angehörige werden zu Pflegekräften“

Von: Maria Wimmer

Welche Unterstützung gibt es für pflegende Angehörige? Wie können sie besser entlastet werden? Um diese Themen ging es beim ersten saarländischen Pflegekongress. Das Schlusswort sprach VdK-Präsidentin Verena Bentele. 

Zuhörende sitzen in einem Hörsaal der HTW, hinten spricht VdK-Präsidentin Verena Bentele.
Beim Pflegekongress in der Saarbrücker Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) stand die Entlastung und Unterstützung pflegender Angehöriger im Fokus. © Simone Wiesener/VdK

„Keine geregelten Arbeitszeiten, kein Feierabend, kein Wochenende, kein Urlaub – pflegende Angehörige leisten viel, aber nicht unter den Rahmenbedingungen die es bräuchte“, sagte VdK-Präsidentin Verena Bentele beim ersten saarländischen Pflegekongress in der Saarbrücker HTW, der sich speziell an pflegende Angehörige richtete. Organisiert vom saarländischen Gesundheitsministerium und dem Pflegebeauftragten Jürgen Bender erreichte der Kongress durch seine hybride Form rund 300 Menschen – darunter 130 vor Ort und 160 digital. Nach Experten-Vorträgen zu den Themen Entlastungsmöglichkeiten, hospizliche Versorgung und Demenz wurden die drei Schwerpunkte am Nachmittag in drei Diskussionsrunden vertieft. 

Bentele wies in ihrem Schlusswort auf die große Armutsgefährdung der Angehörigen hin, die häufig aus dem Job ausscheiden und erinnerte an die im Koalitionsvertrag vereinbarte Lohnersatzleistung für pflegende Angehörige, für die im Haushalt 2025 jedoch kein Geld eingeplant sei. „Das ist sehr bitter, denn für viele VdK-Mitglieder und pflegende Angehörige war das ein großes Versprechen. Wir werden weiter Druck machen“, so Bentele. Zudem forderte die VdK-Präsidentin mehr Entlastungsmöglichkeiten, wies aber auch darauf hin, dass laut der VdK-Pflegestudie von 2022 jährlich etwa 12 Milliarden Euro finanzieller Pflegeleistungen ungenutzt bleiben – einerseits weil die Angebote fehlen, andererseits weil viele nicht wissen, was ihnen zusteht. 

Mit acht Pflegestützpunkten ist das Saarland bei der Pflegeberatung zwar sehr gut aufgestellt, jedoch hapert es bei der Infrastruktur: Von 70.000 Pflegebedürftigen im Saarland werden 57.000 zuhause gepflegt. Für diese Gruppe gibt es nur rund 700 Plätze in der Kurzzeit- bzw. Dauerpflege sowie knapp 1200 in der Tagespflege, obwohl ab Pflegegrad 2 ein Rechtsanspruch auf Tages- und Nachtpflege besteht.

Gerade in der ambulanten Pflege gebe es aber „wachsende Probleme in der Versorgung“, unterstrich Gesundheitsminister Magnus Jung, der auch vor dem demografischen Wandel warnte. „Wer pflegt die Babyboomer? Sie haben weniger Kinder, die häufig weiter weg wohnen. Ich halte es für wenig realistisch, dass eine professionelle Pflege das ausgleichen kann“, sagte Jung. Mut mache aber die Tatsache, dass die Zahl der Beschäftigten in der Pflege Ende 2023 gestiegen sei und 3800 junge Menschen im Saarland einen Pflegeberuf erlernen – dieser sei somit der am meisten gewählte Ausbildungsberuf.

Keine Beratung, keine Hilfsmittel, lediglich ein Pflegekurs – so beschreibt Georg Zürn die Situation pflegender Angehöriger vor 30 Jahren, als er als 20-jähriger Student und „von Pflege keine Ahnung“ von einem Tag auf den anderen seinen Großvater pflegen musste, da dieser sich nur von ihm versorgen ließ. Seitdem hat Zürn sieben Angehörige begleitet und dafür 2022 die Pflegemedaille des Saarlandes erhalten. Zürn lobte das Engagement des örtlichen Pflegestützpunktes, der ihn dabei unterstützt hatte, innerhalb weniger Stunden einen Kurzzeitpflege-Platz für seine über 100-jährige Großmutter zu finden. 

„Wen kümmert der Kummer der Pflegenden“, lautete der Titel des Pflegekongresses. Angehörige werden zu Pflegekräften, doch sie erfahren viel zu wenig psychosozialen Beistand, kritisierte Ute Seibert, Leiterin des Paul Marien Hospizes in Saarbrücken. „Auch Angehörige haben ein Recht auf eine Auszeit und ein Recht drauf, Nein zu sagen“, betonte Seibert. „Pflegen Sie nicht, bis Sie selbst krank sind. Machen Sie es nicht alleine, holen Sie sich Unterstützung und vergessen Sie die Selbstpflege nicht“, appellierte sie an die pflegenden Angehörigen im Publikum. 

Auch Jürgen Stenger von der Saarländischen Pflegegesellschaft rief dazu auf, eine Tagespflege in Anspruch zu nehmen. „Es gibt Angehörige, die sich dafür entschuldigen als wären sie Bittsteller. Doch es ist Ihr Recht, sich einen freien Tag zu nehmen. Tagespflege ist ein Rechtsanspruch“, unterstrich Stenger. Bei der Suche nach einem Pflegedienst forderte er dazu auf, nicht zu schnell die Flinte ins Korn zu werfen, sondern immer wieder nachzufragen. „Die Pflegekassen sind gesetzlich dazu verpflichtet, für ein flächendeckendes Netz ambulanter Dienste zu sorgen“, so Stenger. Er wies auch darauf hin, dass Pflegedienste grundsätzlich zur Versorgung verpflichtet seien, aber „im Rahmen ihrer Kapazitäten“ eine Versorgung ablehnen dürften. „Aber: Rosinenpickerei ist hier nicht erlaubt.“ 

Den Entlastungsbetrag von 125 Euro für haushaltsnahe Dienstleistungen bezeichnete Stenger als „Fehlkonstruktion der Pflegeversicherung“, bei dem die Bürokratie übers Sinnvolle hinausgeschossen sei. Auch in der anschließenden Diskussionsrunde zum Thema Entlastung kritisierten mehrere Angehörige den hohen bürokratischen Aufwand beim Entlastungsbetrag, da sich die Nachbarschaftshelfer in einem aufwändigen Prozess dafür registrieren müssen. 

Auch die Beantragung von Verhinderungs- oder Kurzzeitpflege, die seit diesem Jahr in einem Entlastungsbudget zusammengefasst werden, sei viel zu kompliziert, kritisierte eine Angehörige. „Da muss man ja eine Doktorarbeit machen, um da durchzublicken, dafür fehlt uns doch die Zeit!“ Zwei weitere Angehörige mit pflegebedürftigen Kindern schilderten ihre Not bei der Suche von Pflegediensten oder Personen, die für die Verhinderungspflege einspringen, zudem gebe es kaum Unterstützung für Menschen mit Autismus, zum Beispiel darauf spezialisierte Pflegekurse. 

Die hohe Belastung von pflegenden Eltern wurde als weiteres Sorgenkind genannt. So gibt es im Saarland keine einzige Pflegeeinrichtung für Menschen unter 65 Jahren – rund 600 von ihnen werden deshalb in Pflegeheimen für ältere Menschen betreut. Hier gebe es aber inzwischen Bemühungen, in jedem Landkreis stationäre Angebote zu schaffen, mehr als ein Dutzend Träger habe Interesse bekundet, so Stenger. 

Pflegeportal Saar

Eine Übersicht über freie Pflegeplätze, ambulante Pflegedienste und Beratungsstellen gibt hier:

Externer Link:www.pflege-portal-saar.de

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