Mehr Mut für mehr Teilhabe
Mit einem Prämienprogramm fördert das Sozialministerium die Beschäftigung schwerbehinderter Menschen. Zudem gibt es eine Vermittlungsstelle, die Vorurteile und Ängste abbauen soll. Das Programm wurde im Juli verlängert.
Sie sortiert KFZkurz fürKraftfahrzeug-Briefe für das Ablagesystem vor und scannt die Post: Trotz ihrer Einschränkungen arbeitet Cynthia Gertung bei Mercedes-Bank Banking Service GmbH am Standort Saarbrücken, wo alle privaten Leasing-Verträge des Autokonzerns gemanagt werden. Hinter ihrem Bürostuhl stehen zwei Rollatoren – einer, um auf die Arbeit zu kommen und einer, der deutlich schwerer ist und einen Korb hat, um die Post zu transportieren.
Das Unternehmen lernte die 28-Jährige, die auch VdK-Mitglied ist, schon 2016 als Praktikantin kennen, bevor sie 2018 eine Ausbildung zur Fachkraft für Bürokommunikation startete – in Kooperation mit dem Verein Miteinander Leben Lernen (MLL), der für Menschen mit Unterstützungsbedarf Berufsvorbereitungen anbietet. Seit 2020 ist Cynthia Gertung unbefristet für Mercedes in Saarbrücken tätig und die erste Beschäftigte mit Schwerbehinderung im Unternehmen.
Mehr Werbung notwendig
Das Arbeitsverhältnis wurde durch das saarländische Förderprogramm zur Beschäftigung von Menschen mit Behinderung (siehe Infokasten) bezuschusst, das das Sozialministerium im Juli verlängert hat. Für Sozialminister Magnus Jung ein Anlass, mehr Werbung für das Programm zu machen. „Wir haben hier viel mehr Geld zur Verfügung, als wir verausgaben können. Leider gibt es noch viele Berührungsängste. Etliche Betriebe wissen nicht, welche Chancen sich dadurch eröffnen und welche Fördermöglichkeiten es gibt“, sagte Jung.
Um für mehr Information zu sorgen, gibt es seit 2022 durch das Teilhabestärkungsgesetz die Möglichkeit, sogenannte einheitliche Ansprechstellen für Arbeitgeber (EEA) über die Ausgleichsabgabe zu finanzieren. Im Saarland ist die EEA seit einem Jahr aktiv. Im Auftrag des Inklusionsamtes klopfen die beiden Mitarbeiterinnen bei Unternehmen an, um sie über die Leistungen zu informieren. „Das ist wie ein Rundum-Sorglos-Paket für Arbeitgeber. Ziel ist auch, Vorurteile abzubauen. Die Angst vor Bürokratie, komplizierten Anträgen und einem besonderen Kündigungsschutz sind Gründe, warum viele Unternehmen vor einer Einstellung behinderter Menschen zurückschrecken“, sagte Elke Alexander, Leiterin des Inklusionsamtes.
Auch Heidrun Schulz, Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit, bedauerte die Zurückhaltung vieler Unternehmen und wünschte sich mehr Mut. „Es handelt sich hier nicht nur um eine gesetzliche Pflicht, sondern auch um eine sozialpolitische. Zudem gibt es in dieser Gruppe ein großes Potenzial an Fachkräften“, sagte Schulz. Es seien eben nicht finanzielle Hürden, sondern häufig falsche Vorstellungen – etwa, dass es keine Probezeit oder die Möglichkeit eines befristeten Arbeitsverhältnisses gebe.
Ute Rieger, Geschäftsführerin von der Mercedes-Benz Banking Service GmbH, lobte das Programm. „Wir freuen uns, dass wir eine engagierte Mitarbeiterin gewonnen haben. Die Vielfalt tut dem Unternehmen gut. Sie ist eine Bereicherung für alle Mitarbeiter.“ Derzeit gebe es einen weiteren Praktikanten mit Schwerbehinderung. „Praktika sind eine gute Möglichkeit, einander kennenzulernen und Berührungsängste abzubauen – auch in der Belegschaft“, sagte Rieger.
Hinter dem Förderprogramm steht eine besondere Kooperation zwischen Sozialministerium, Landkreistag und Agentur für Arbeit. „Die hohe Erfolgsquote zeigt, dass es hilft. Hier geht es um Chancengerechtigkeit, damit auch Menschen mit Behinderung eine sinnvolle Tätigkeit ausüben können und Freude und Erfüllung erleben. Das ist eine Frage der Menschenwürde“, sagte Udo Recktenwald, Vorsitzender des Landkreistages.
Heidrun Schulz von der Arbeitsagentur wies darauf hin, dass Menschen mit Behinderung im Schnitt 100 Tage länger arbeitslos sind und häufiger trotz Ausbildung arbeitssuchend. Dennoch habe die Zahl der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Menschen mit Behinderung innerhalb der letzten 20 Jahre um 20 Prozent zugenommen. Bei der allgemeinen Beschäftigung betrug der Anstieg nur 7 Prozent. Im Saarland waren 2021 knapp 13.000 Menschen mit Behinderung beschäftigt. Fast weitere 2000 waren arbeitslos gemeldet.
Gesetzliche Pflicht
Unternehmen ab 20 Beschäftigten haben die Pflicht, fünf Prozent ihrer Arbeitsplätze mit einem Schwerbehinderten zu besetzen. Die öffentlichen Arbeitgeber schneiden in der Regel besser ab als die privaten. 35,7 Prozent der betroffenen Arbeitgeber kommen ihrer Pflicht vollumfänglich nach, weitere 37 Prozent erfüllen die Quote teilweise.
27,4 Prozent jedoch haben keinen einzigen Menschen mit Behinderung beschäftigt – das sind fast zwei Prozent mehr als vor fünf Jahren. Sie müssen eine Ausgleichsabgabe von 360 Euro monatlich pro Arbeitsstelle leisten. Diese Abgabe soll 2024 auf 720 Euro steigen – die Erhöhung der Abgabe war eine langjährige Forderung des VdK.
Förderprogramm für einen inklusiven Arbeitsmarkt
Das Förderprogramm für einen inklusiven Arbeitsmarkt wurde 2020 eingerichtet und bis 2025 verlängert. In der ersten Förderperiode wurden 68 Arbeitsverhältnisse bzw. Ausbildungsverträge abgeschlossen, von denen bei Abschluss noch 44 bestanden. Die Verträge werden durch Prämien gefördert – im ersten Jahr erhalten Arbeitgeber bis zu 3000 Euro pro Jahr. Bei Übernahme in ein unbefristetes Beschäftigungsverhältnis bekommt das Unternehmen 5000 Euro. Darüber hinaus gibt es weitere Hilfen, etwa zur behinderungsgerechten Einrichtung des Arbeitsplatzes, die Kostenübernahme einer Arbeitsassistenz oder Zuschüsse, wenn die nicht die volle Leistung erbracht werden kann. In der aktuellen Förderperiode stehen zwei Millionen Euro zur Verfügung.
Infos bei Elke Alexander, Leiterin des Inklusionsamtes:
Telefon (06 81) 99 78 23 90
Externer Link:www.inklusion-gewinnt.saarland