„Ich bin ein Rufer in der Wüste“
Seit März 2024 ist Michael Schmaus als Landesbeauftragter Ansprechpartner für Menschen mit Behinderungen. Im Interview spricht er über fehlende Barrierefreiheit und andere Probleme, die an ihn herangetragen werden.

Mit welchen Problemen haben sich die Menschen an Sie gewandt?
Es sind bisher rund 150 Einzelfälle „quer durch den Garten“. Vom nicht erhaltenen Parkausweis über eine nicht gewährte Reha oder Eingaben aus dem Bereich des Justizvollzuges. Ich versuche dann, jeden Einzelfall zu ermitteln und trete mit den zuständigen Behörden in Kontakt. Bei den Sozialbehörden des Landes ist der Zugang gut und das Verständnis da. Bei Kranken- oder Pflegekassen oder im Justizwesen ist das zum Teil schwieriger.
Welche Probleme gibt es im Land?
Die Probleme sind vielfältig. Ein großes Problem ist zum Beispiel, dass wir aktuell faktisch keine freien Plätze in therapeutischen Wohngruppen für Menschen haben, die eine sehr intensive Betreuung benötigen. Solche Menschen verbringen manchmal Monate in einer psychiatrischen Klinik, weil kein Platz gefunden werden kann. Sowohl Kliniken als auch Angehörige haben sich deshalb bei mir gemeldet. Vereinzelt konnte ich hier helfen, aber das strukturelle Problem besteht. Ich beabsichtige, dem Landtag und der Landesregierung in naher Zukunft einen umfänglichen Bericht über die Lage im Land vorzulegen.
Wie sieht es mit jüngeren Menschen in Pflegeheimen aus?
Hier gehe ich von rund 1000 Betroffenen aus, der Bedarf ist also da. Dennoch gibt es im ganzen Saarland kein Angebot für Pflegebedürftige unter 65 Jahren. Es gibt Gespräche mit verschiedenen Trägern, ein Angebot zu schaffen, etwa in Form einer Abteilung für Jüngere. Allerdings haben sich bei mir kaum Menschen gemeldet, die aktuell wirklich umziehen wollen. Dazu würde ich mir eine Erhebung wünschen, denn man sollte nicht nur die Statistik im Blick haben, sondern die Wünsche der Menschen. Es gibt Signale, dass hier in näherer Zukunft Bewegung entsteht, das ist sicherlich auch der öffentlichen Diskussion und dem politischen Willen geschuldet.
An der Förderschule in Homburg soll ab nächstem Schuljahr eine Ferien- und Nachmittagsbetreuung in Form eines Hortes eingerichtet werden, die es an den meisten Förderschulen nicht gibt. Wie ist Ihre Einschätzung?
In Homburg hatten die Behörden wirklich genug Zeit, Lösungen zu finden. Die Eltern haben sehr lange darum gekämpft und sehr viel Energie reingesteckt. Ich erwarte, dass es hier endlich zu einer Lösung kommt. Die Nachmittags- und Ferienbetreuung an Förderschulen ist im Saarland zum Teil unzureichend gelöst. Wobei ich hinzufügen möchte, dass die Situation je nach Schule unterschiedlich ist, das erschwert einfache Lösungen.
Sie haben sich öffentlich für ein zweites sozial-pädiatrisches Zentrum (SPZ) für schwerstbehinderte Kinder eingesetzt. Warum?
Das Uniklinikum in Homburg hat einen Antrag auf ein ambulantes SPZkurz fürSozialpädiatrisches Zentrum mit diesem Schwerpunkt gestellt. Dies freut mich sehr, denn der Bedarf ist nachweislich da und diese neue Möglichkeit muss daher genutzt werden. Wir haben im Saarland nur ein SPZkurz fürSozialpädiatrisches Zentrum, obwohl es im Bezug zur Einwohnerzahl mindestens zwei geben müsste. Das vorhandene SPZkurz fürSozialpädiatrisches Zentrum in Neunkirchen hat Wartezeiten von bis zu drei Jahren und behandelt vorrangig Kinder mit psychologisch-neurologischen Verhaltensauffälligkeiten. Es gibt hier also eine eklatante Lücke bei der Versorgung schwerstbehinderter und schwerstkranker Kinder.
Wie stehen Sie zum Standort?
Der Standort Homburg ist gut, da dort mit der Kinderklinik bereits eine hohe Kompetenz vorhanden ist. Viele Kinder werden also sowieso dort behandelt, aber nicht mit den personellen und fachlichen Möglichkeiten eines SPZkurz fürSozialpädiatrisches Zentrum. Natürlich kann ich mir noch ein weiteres SPZkurz fürSozialpädiatrisches Zentrum an einem anderen Standort vorstellen, aber dort muss sich erst ein Träger finden. So ein SPZkurz fürSozialpädiatrisches Zentrum wäre idealerweise verknüpft mit einem Medizinischen Zentrum für Erwachsene mit Behinderung (MZEBkurz fürMedizinisches Behandlungszentrum für Erwachsene mit geistiger Behinderung oder schweren Mehrfachbehinderungen), damit die Versorgung nicht nach dem 18. Lebensjahr abrupt endet. Das Saarland hat derzeit noch gar kein MZEBkurz fürMedizinisches Behandlungszentrum für Erwachsene mit geistiger Behinderung oder schweren Mehrfachbehinderungen, als einziges Bundesland. Dafür werde ich mich einsetzen, denn auch hier besteht eine massive Versorgungslücke.
Wie steht es um die Barrierefreiheit im Saarland?
Diese ist insgesamt ein Problem, sei es im öffentlichen Raum, beim Wohnen, im Gesundheitswesen oder bei der Mobilität. Hier bin ich wie ein Mahner und Rufer in der Wüste. Es gibt Bemühungen, aber die Zeiträume für Umbauten sind eklatant lang, wie man etwa an den Bahnhöfen sieht. Klar ist auch, dass die Modernisierung der Landesbauordnung kein progressiver Schritt für mehr Barrierefreiheit war. Ein guter Schritt war hingegen die Einführung einer Landesfachstelle für Barrierefreiheit, die Behörden und Dienststellen, also auch die Kommunen, zur Umsetzung von Barrierefreiheit beraten soll.
Ist es nicht ein Skandal, dass das Büro des Landesbehindertenbeauftragten nur über eine Treppe erreichbar ist?
Absolut! Die Büroräume des Landesbeauftragten sind bisher in keiner Weise barrierefrei. Das bedeutet, dass ich mit Menschen im Rollstuhl Termine im Hauptgebäude des Landtages vereinbaren muss. Diese derzeitige Situation ist völlig unbefriedigend! Ich hoffe sehr, dass es zeitnah zu Veränderungen kommt. Aber jenseits der Bürosituation des Landesbeauftragten gilt leider, dass das Thema Barrierefreiheit mit viel zu wenig Priorität behandelt wird.
Ende März haben Sie eine Fachtagung zum Thema Wohnen organisiert. Warum dieser Schwerpunkt?
Ich möchte das Thema Wohnen etwas breiter betrachten. Wir haben im Saarland etwa 1600 Menschen, die in besonderen Wohnformen und weitere 800, die ambulant im Rahmen der Eingliederungshilfe mit Assistenz leben. Daneben gibt es noch Menschen, die ihre Bedarfe beim Wohnen über das persönliche Budget abbilden. Die Fachtagung wird sich primär mit dieser Zielgruppe und nicht mit barrierefreiem Wohnraum an sich beschäftigen. Es geht um Wohnformen für Menschen mit Behinderungen, die einen deutlichen Unterstützungsbedarf haben.
Was heißt das konkret?
Beispielsweise gibt es Menschen, die gerne im eigenen Appartement leben möchten, aber auf die Möglichkeit eines permanenten Ansprechpartners – beispielsweise nachts – nicht verzichten können. Ich möchte so etwas jetzt einfach mal „hybride Wohnform“ nennen. Hier haben die Anbieter – aus vielen Gründen – derzeit wenig Möglichkeiten. Das Hamburger Trägerbudget, das auf der Tagung vorgestellt wird, bietet mehr Flexibilität und Finanzierungssicherheit. Dadurch kann mehr individuelles Wohnen ermöglicht werden. Es geht darum, alte Strukturen aufzubrechen, damit neue Wohnformen leichter getestet werden können.
Wo hapert es bei der barrierefreien Gesundheitsversorgung?
Zahlreiche Arztpraxen im Saarland sind nicht barrierefrei zugänglich, was die freie Arztwahl für Menschen mit Behinderungen erheblich einschränkt. Hier muss es auch im Interesse des Arztes liegen, die Praxis barrierefrei zu gestalten oder in andere Räume umzuziehen. Wichtig wäre auch mehr Transparenz und eine Bestandsaufnahme der tatsächlichen Barrierefreiheit von Arztpraxen und Apotheken, die über eine Selbstauskunft hinausgeht.
Viele unserer Mitglieder klagen über lange Wartezeiten beim Landesamt für Soziales. Wie nehmen Sie das wahr?
Die Verfahrensdauer ist sehr lang, zu lang! Das gilt aber leider auch für andere Institutionen wie Kranken- und Pflegekassen. Eine Vereinfachung der Verfahren mit einer starken Orientierung am „Kunden“ ist hier empfehlenswert. Ich habe auch das Gefühl, dass Behörden es öfter mal auf einen Widerspruch oder Prozess ankommen lassen und tendenziell zu schnell ablehnen. Deshalb kommt es zu vielen Widerspruchs- und Klageverfahren, was wiederum die Verfahrensdauer erhöht. Schwierig ist auch, dass das Landesamt zu wenig Ärzte hat, die selbst begutachten, so dass es auf externe Gutachten angewiesen ist. Auch das führt häufig zu Verzögerungen.