Mehr Sicherheit für Patienten
Was bringt die elektronische Patientenakte? Darüber diskutierten Experten zum Start der ePA bei einer Infoveranstaltung des Netzwerks für Patientensicherheit in Saarbrücken.

Eine Geschichte der Verunsicherung – so beschreibt VdK-Landesgeschäftsführer Peter Springborn die Entwicklung der elektronischen Patientenakte (ePA) bei einer Informationsveranstaltung, die die Gesundheitsregion Saar und das Netzwerk Patientensicherheit, dem auch der VdK Saarland angehört, Ende April in der Ärztekammer in Saarbrücken organisiert hatten – zufällig genau an dem Tag, als die ePA bundesweit ausgerollt wurde. In seinem Videovortrag appellierte Springborn als Patientenvertreter daran, den Blick auf die Vorteile der ePA zu richten, die wegen Datenschutzbedenken und Sicherheitslücken umstritten ist.
„Gesundheitsdaten sind hochsensibel und gehören nicht in falsche Hände, aber kann nicht das einzige Kriterium sein“, sagte Springborn. Neben einer großen Verunsicherung gebe es auch ein großes Unwissen darüber, was die ePA bringen kann, nämlich mehr Patientensicherheit und ein besseres Gesamtbild des Gesundheitszustandes. „Derzeit sind Patienten ungesteuert im System unterwegs. Manche haben mehrere Ärzte, die voneinander nichts wissen und womöglich Medikamente verschreiben, die nicht zueinander passen. Auch die Apotheke muss wissen, welche Medikamente eingenommen werden, um eine vernünftige Beratung machen zu können, die der eigenen Sicherheit dient“, so Springborn. Er nennt ein weiteres Beispiel: Ein Patient wird aus dem Krankenhaus entlassen, aber der Hausarzt weiß nicht, welche Medikamente gegeben wurden, weil der Befund noch nicht da ist. „Der Austausch der Daten funktioniert nicht richtig. Das kostet viel Zeit und Ressourcen, die wir nicht mehr haben.“
Durch die ePA könnten Wechselwirkungen bei Medikamenten leichter erkannt und Doppeluntersuchungen vermieden werden. Arztpraxen würden weniger Zeit mit dem Auftreiben von Befunden verlieren. Und vor allem: Die Risiken für den Patienten, die schlichtweg durch Unkenntnis, also dem Fehlen von Daten, entstehen, würden verkleinert.
Kritisch sieht Springborn, dass Patienten selbst entscheiden können, wer welche Befunde sehen darf und Dokumente auch löschen und verbergen können. Das hält er für einen falschen Denkansatz und fragt: „Sind es wirklich falschen Hände, wenn Daten über meine Gesundheit bei denen landen, die mit meiner Gesundheit zu tun haben?“ Als Beispiel nennt er Menschen, die drogen- oder alkoholsüchtig sind und diese Befunde aus ihrer Akte streichen. Er merkte auch an, dass die Angst vor der ePA massiv aus dem Gesundheitswesen selbst heraus geschürt worden sei, allen voran vor niedergelassenen Ärzten, allerdings „nicht aus Angst um die Daten, sondern aus Angst, dass andere Ärzte oder die Kassen ihnen in die Karten schauen“ und merken könnten, dass die Behandlung nicht leitliniengerecht erfolge.
Zustimmung erntete Peter Springborn vom Präsidenten der Ärztekammer, Markus Strauß, der vor einer „unvollständigen Akte“ warnte und auf die Risiken hinwies, wenn Patienten Erkrankungen verbergen. „Ein Patient denkt vielleicht, den Augenarzt geht meine Depression oder mein Asthma nichts an. Aber bestimmte Medikamente können zum grünen Star und dieser zur Erblindung führen. Wenn Befunde leichtfertig unterdrückt werden, schaden Patienten sich selbst. Die Patienten-geführte Akte ist nicht der Weisheit letzter Schluss. Es sollte nicht so sein, dass die Ärzteschaft springen muss, während Patienten machen können, was sie wollen“, sagte der Augenarzt. Etwa, wenn sich jemand eine Zweitmeinung einholen möchte, aber die Untersuchung beim ersten Arzt verschweige, was dazu führe, dass Praxen verstopften und Wartezeiten immer länger würden.
Ein weiterer wichtiger Grund, auf vorhandene Befunde zurückgreifen zu können, seien Sprachbarrieren, vor allem bei Einweisungen ins Krankenhaus, unterstrich Strauß. Gleichzeitig appellierte er, Sicherheitslücken schnellstmöglich auszuräumen, um den Datenschutz und die ärztliche Schweigepflicht nicht zu gefährden. Weitere Probleme sahen Strauß und Springborn bei der technischen Seite, da die ePA derzeit nur das unstrukturierte Speichern von eingescannten PDF-Dateien zulässt und keine Volltextsuche möglich ist. „Das ist im Prinzip nur der digitale Zugriff auf analoge Daten“, so Springborn. Das sei aber kein Grund, sich gegen die ePA zu entscheiden. Denn im Idealfall könnte die Akte in Zukunft Daten strukturieren, etwa aus Blutbefunden eine Entwicklungskurve darstellen. Umso wichtiger sei es, jetzt damit anzufangen, die Daten einzustellen.
Jörg Loth, Vorstandsvorsitzender der IKK Südwest und Sprecher des Netzwerkes Patientensicherheit, hob ebenfalls die Vorteile der ePA für die Patientensicherheit beim Vermeiden von Doppeluntersuchungen und Wechselwirkungen bei Medikamenten hervor, aber auch bei einem Praxiswechsel. Beim Thema Datenschutz betonte er, dass Patienten die Hoheit über ihre Daten und die Zugriffsmöglichkeit haben sollten. Bei der IKK Südwest hätten 4,5 Prozent der Versicherten der ePA widersprochen, bundesweit sind es rund fünf Prozent.
Maike Frieben betonte die Vorteile einer vernetzten Gesundheitsversorgung, wenn Arztpraxen und Kliniken mit Gesundheitsdaten von 70 Millionen Versicherten verbunden werden. Sie ist Produktmanagerin der Elektronischen Patientenakte bei der Gematik, der Gesellschaft, die für die Digitalisierung des deutschen Gesundheitswesens zuständig ist. Ein weiterer Vorteil sei, dass durch die Akte das Vergessen von Dokumenten, etwa wenn ein Arztbrief verloren wird, verhindert werde.
Gerrit Kiefaber, Leiterin der Knappschaft im Saarland und in Rheinland-Pfalz, unterstrich die Bedeutung der Patientensouveränität. Es sei wichtig, den Patienten die Möglichkeit einer freien Entscheidung zu geben, um das Vertrauen in die ePA zu stärken.
Für die Landesbeauftragte für Datenschutz Monika Grethel stand die informationelle Selbstbestimmung an oberster Stelle, Gleichzeitig betonte sie, dass die Datenschutz-Aufsicht die Digitalisierung weder verhindern noch ausbremsen wolle. Wichtig sei aber zu wissen, wer wann auf die sensiblen Gesundheitsdaten zugreife. Dass die Zugriffsmöglichkeit, die Patienten mit ihrer elektronischen Gesundheitskarte ermöglichen, 90 Tage anhält, sieht sie kritisch. Hier müsse der Gesetzgeber noch einmal nachjustieren.
Harry Derouet von der Kassenärztlichen Vereinigung des Saarlandes wies darauf hin, dass 99 Prozent der Ärzte in der Lage seien, die ePA umzusetzen. Als Problem nannte er, dass es sehr viele unterschiedliche Praxis-Software-Systeme gebe. Auch er bemängelte, dass die Befüllung unstrukturiert erfolgt und keine Volltextsuche möglich. „Das kostet die Praxen viel Zeit.“