Kategorie Inklusion Behinderung

„Ein Fehler im System“

Von: Maria Wimmer

Schulassistenzen werden nur für einen befristeten Zeitraum genehmigt und Ausfälle nicht vergütet – das führt zu einer hohen Fluktuation. Die Alternative könnte ein Pool-Modell sein.

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Ein Kind mit einer Behinderung hat laut UN-Behindertenrechtskonvention ein Recht auf den Schulbesuch. Dennoch gibt es immer wieder Kinder, die die Schule nicht besuchen können, weil keine Schulassistenz gefunden wird, wie Matthias Warken, Geschäftsführer des Vereins Miteinander Leben Lernen (MLL), und Angelika Schallenberg, Geschäftsführerin der Lebenshilfe Saar­brücken, bestätigen.

Mit rund 500 Inklusionskräften gilt MLL als der größte Träger im Bereich der Assistenzen für Kitas und Schulen und hat derzeit etwa 80 offene Stellen zu besetzen. „Die Eltern stehen jeden Tag verzweifelt vor unserer Tür. Manchmal bekommt die Schule es hin, dass das Kind doch am Unterricht teilnehmen kann. Andere Kinder werden auf eine weiter entfernte Förderschule geschickt und können nicht mehr mit ihren Freunden zur Schule gehen. Manche bleiben ganz zu Hause. Die Kinder sind die Leid­tragenden“, sagt Warken.

Die Gründe sind vielschichtig, lägen aber im System selbst – denn die Arbeitsbedingungen für Schulassistenzen sind im Saarland nicht attraktiv. Hintergrund ist, dass die Vergütung nur für geleistete Stunden gezahlt wird – also nicht bei Krankheit von Kind oder Assistenz und auch nicht in den Sommerferien. Die Schulassistenzen werden in der Regel also nur für 10,5 Monate bewilligt – manchmal sogar nur auf wenige Monate befristet. Dabei ist die Befristung von Leistungen der Eingliederungshilfe laut einem Urteil des Bundessozialgerichts im Jahr 2021 gar nicht zulässig – doch das Urteil werde im Saarland nicht umgesetzt.

Hinzu kommt, dass in der Regel keine Fachkräfte genehmigt werden. Laut Anbietern reiche die Vergütung daher nur für den Mindestlohn. „Dennoch sind fast 40 Prozent unserer Kräfte länger dabei, weil sie diesen Job einfach gerne machen, auch wenn es schwer ist, damit über die Runden zu kommen. Für manche ist es nur ein Zubrot, aber einige müssen davon leben“, sagt Warken.

Für die Anbieter bedeutet es einen enormen bürokratischen Aufwand, denn für jede Kraft muss ein neuer Arbeitsvertrag aufgesetzt werden – und das nach Auslaufen der Befristung jedes Mal aufs Neue. „Dieser Aufwand steht in keinem Verhältnis zu der Vergütung. Das System fährt sich selbst an die Wand“, sagt Angelika Schallenberg von der Lebenshilfe Saarbrücken, die rund 100 Assistenzen angestellt hat.

„Wir haben wöchentlich Bewerberverfahren, alles dreht sich da­rum, Personal zu rekrutieren und Verträge zu erstellen, anzupassen oder wieder aufzuheben, weil wieder jemand gekündigt hat. Ein weiterer irrer Aufwand ist das Dokumentieren der geleisteten Stunden. Und wenn ein Kind drei Wochen ausfällt, müssen wir schauen, ob wir die Inklusionshelferin als Vertretung für ein anderes Kind einsetzen können. Wenn Helferin und Kind nicht zusammenpassen oder die Entfernung zu groß ist, klappt es nicht“, sagt Schallenberg.

Sowohl MLL als auch Lebenshilfe Saarbrücken plädieren deshalb für eine Pool-Lösung, wie sie durch das Bundesteilhabegesetz möglich ist. Auch der VdK setzt sich dafür ein. Der Unterschied zum bisherigen Modell besteht darin, dass der Bedarf an Integrationskräften – sowohl angelernten Assistenzen als auch Fachkräften – von der Schule angemeldet wird und die Kräfte für alle Kinder mit Integrationsbedarf zuständig sind und nicht einem einzelnen Kind zugewiesen werden.

„Für die Eltern entfällt dadurch das mühevolle Beantragen und Bewilligen einer Schulbegleitung, zudem müsste nicht mehr jede geleistete Stunde dokumentiert werden, was zurzeit ein hoher und unnötiger Aufwand ist. Die derzeit starke Fluktuation bei den Schulassistenzen ist für Kinder und Eltern eine große Belastung. Im Pool-Modell wäre die Betreuung durchgängig gesichert, da sich die Kräfte im Krankheitsfall gegenseitig vertreten können und eine Schulbegleitung nicht an ein bestimmtes Kind gebunden ist. Dadurch wird auch vermieden, dass sich fünf Assistenzen in einer Schulklasse sammeln, wo eigentlich drei genügen würden“, sagt der Landesbehindertenbeauftragte Daniel Bieber. Wichtig sei auch, die Kräfte besser zu qualifizieren und auf ihre Tätigkeit – also die besondere Behinderung der Kinder – individuell vorzubereiten.

Für die Leistungserbringer liegen die Vorteile klar auf der Hand: „Wir haben hier multiprofessionelle Teams und können den Bedarfen der Kinder viel besser gerecht werden. In der Modellphase erhalten die Inklusionskräfte Zwei-Jahres-Verträge, sowohl Ausfälle als auch Ferien sind durchgängig finanziert. Im Regelmodell ist eine Festanstellung vorgesehen, was für die Kräfte deutlich mehr Sicherheit bedeutet“, sagt Matthias Warken. Derzeit wird die Mehrheit der Pool-Modelle jedoch nur an Förderschulen erprobt. MLL und die Lebenshilfe fordern, dass diese multiprofessionellen Teams zur Regel an allen Schulen werden, damit jedes Kind im Sinne einer inklusiven Bildung wohnortnah in die Schule gehen kann.

Maria Wimmer