Kategorie Inklusion Behinderung Teilhabe

„Das Versprechen Förderschule hat sich nicht erfüllt“

Von: Maria Wimmer

Zwei Mal um 13 Uhr, drei Mal um 15 Uhr: Zu diesen Zeiten endet die Förderschule ihrer Tochter und damit auch die Betreuung. Die berufstätige Mutter wünscht sich eine Nachmittags- und Ferienbetreuung – wie viele Eltern.

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Normal arbeiten gehen, wenn das eigene Kind eine Behinderung hat? Dass das ein Kraftakt ist – diese Erfahrung musste Nina Bonn machen. Sie meldete ihre Tochter an einer Förderschule an – in der Hoffnung, dort auch mehr Unterstützung zu erhalten. „Doch dieses Versprechen hat sich nicht erfüllt. Mit der Schule an sich bin ich grundsätzlich zufrieden, aber nicht mit der Betreuungszeit“, sagt Bonn. Denn an der sogenannten Ganztagsschule endet diese an zwei Wochentagen um 12.45 Uhr, die anderen Tage um 14.45 Uhr. 

„Ich bin Lehrerin und beende meinen Unterricht um 13 Uhr. Danach rase ich nach Hause und hoffe, dass der Bus meiner Tochter im Stau steht“, sagt Bonn. Wenn Konferenzen am Nachmittag stattfinden, müssen Vater oder Schwiegermutter einspringen. Nina Bonn ist Sprecherin einer Elterninitiative, die seit fast zwei Jahren eine Nachmittags- und Ferienbetreuung fordert. Doch sie fühlt sich in diesem „langwierigen Kampf“ alleingelassen. 

Nur etwa ein Drittel der 39 Förderschulen im Saarland bietet eine Nachmittagsbetreuung an. Das CJD in Homburg betreut neun von 14 Förderschulen mit Nachmittagsbetreuung. Tobias Verburg, verantwortlich für die Freiwillige Ganztagsschule (FGTS) bei der CJD Homburg/Saar gGmbH, sieht ein strukturelles Problem. „Förderschulen sind oft sehr kleine Modelle mit wenig Schülern, so dass manchmal nur eine Gruppe für die Nachmittagsbetreuung zustande kommt. Die Finanzierung ist hier nicht ausreichend, weil es bei einer Gruppe nur für einen Mitarbeiter reicht“, sagt Verburg. 

Doch im Saarland gibt es eine weitere Besonderheit: Neun Schulen gelten als „Förderschulen im Ganztagsbetrieb“, darunter die beiden „K-Schulen“ für Kinder mit körperlicher Behinderung und die Förderschulen „GE“ für geistige Entwicklung. Das bedeutet: An diesen Schulen darf laut saarländischem Schulgesetz keine FGTS eingerichtet werden, denn die Schule ist demnach mit 31 Wochenstunden bereits eine Ganztagsschule – obwohl der Unterricht zwei Mal wöchentlich vor 13 Uhr endet. Eine Mutter, die 2012 dagegen geklagt hatte, scheiterte vor dem Oberverwaltungsgericht. 

Zwei Hort-Modellprojekte

Gesetzlich möglich sei nur ein Hort. „Die FGTS basiert auf einer anderen Gesetzesgrundlage. Es ist eine niedrigschwellige Betreuung, die einen Beitrag zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf leisten soll. Beim Hort handelt es sich hingegen um ein Bildungsangebot mit pädagogischen Fachkräften und dadurch deutlich höheren Kosten“, erklärt Juliane Kästner von der Lebenshilfe Völklingen.

Diese ist seit einem Jahr Träger des Hortes an der „K-Schule“ Püttlingen. Die Schule war zusammen mit der Förderschule für geistige Entwicklung in Merchingen Teil eines Modellprojektes von Sozial- und Bildungsministerium. Beide Projekte wurden nach dem Modeljahr 2022/2023 in ein reguläres Hortangebot übergeführt. 

Der Hort werde von den Eltern sehr gut angenommen. „Sie können ihr Leben ganz anders gestalten und wieder einem Beruf nachgehen. Es gab Mütter, die in den Ferien einen Krankenschein eingereicht haben, weil sie mehr als 60 Ferientage mit 30 Urlaubstagen nicht abdecken können. Das ist eine klare Benachteiligung gegenüber anderen Familien und wurde als sehr ungerecht empfunden“, sagt Kästner. Die Hort-Kosten für die Eltern betragen in Püttlingen aktuell 99 Euro pro Monat. 

Eine große Schwierigkeit für den Träger war es, Personal für den Hort zu finden. Denn dieser beginnt – aufgrund des Ganztagsbetriebs – an drei Wochentagen erst gegen 15 Uhr. „Derzeit können wir im Hort keine Vollzeitstellen anbieten. Wir versuchen, Stellenanteile zu kombinieren. Ein Halbtagsbetrieb mit Beginn vor 13 Uhr wäre einfacher, um für Fachkräfte attraktiv zu sein“, sagt Ralph Schneider, Geschäftsführer der Lebenshilfe Völklingen. Er ist überzeugt: „Das Gesetz muss geändert werden, denn alle Kinder haben ein Recht auf Nachmittags- und Ferienbetreuung. Sowohl Eltern als auch Träger müssen einen großen Aufwand betreiben, um diese Betreuung auf die Beine zu stellen“, sagt Schneider. 

Das sieht auch Peter Meier so, der für die Lebenshilfe Merzig-Wadern den Hort an der Förderschule „Zum Broch“ in Merchingen organisiert. Dort gab es bereits seit 2008 den Wunsch nach einer Nachmittagsbetreuung, die schließlich mit verschiedenen Finanzierungsmodellen gestemmt wurde. Die betroffenen Eltern mussten zunächst hohe Eigenanteile von mehreren hundert Euro monatlich aufbringen. 

Zu hoher Aufwand

Die Probleme sieht Meier in der Komplexität der Finanzierung – beteiligt sind das Bildungsministerium, der Landkreis und die Eltern, die für den Hort 70 Euro im Monat bezahlen, sowie das Sozialministerium. „Der Hort ist ein wichtiges Angebot, das Eltern entlastet. Aber es braucht eine klarere Finanzierung, damit es nachhaltig funktioniert und ausgebaut werden kann. Es ist unsäglich mühsam, um jeden einzelnen Finanzierungsschnipsel zu kämpfen. Auf Dauer kann das so nicht funktionieren“, sagt Meier. 

Ab 2026 gibt es einen Rechtsanspruch auf eine Ganztagsbetreuung für alle Grundschulen. Was dieser Anspruch für Förderschulen im „Ganztagsbetrieb“ ändern wird, ist derzeit offen, sagt Sabrina Pitz, Mitarbeiterin im Team des Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderungen. Es lägen dort bislang keine konkreten Umsetzungspläne des Bildungsministeriums vor, da es an den Förderschulen bislang kaum solche Angebote gäbe. Dies müsse sich aber mit dem Anspruch auf Ganztagsbetreuung zwingend ändern. 

Peter Meier macht aber auch klar: Nicht allen Kindern sei aufgrund ihrer Behinderung eine Ganztagsbetreuung zuzumuten. Ein wichtiges Argument dafür ist die soziale Teilhabe: Kinder, die Förderschulen besuchen, haben oft wenig soziale Kontakte vor Ort. Das trifft auch auf die Tochter von Nina Bonn zu – sie beklagt, dass es viel zu wenig inklusive Angebote gibt. Die Nachmittagsbetreuung würde ihrer Tochter ermöglichen, mit Freunden nach dem Unterricht zu spielen, die nicht um die Ecke wohnen.