„Das ist klassische VdK-Arbeit“
Ab wann gilt man als schwerbehindert? Welche Vorteile bringt ein Grad der Behinderung? Wie füllt man den Antrag aus? Um diese Themen ging es in einem Seminar der VdK-Akademie.

„Ich hab’s im Kreuz, kannst du mir damit 50 Prozent verschaffen?“ – eine Frage, die Harro Salm häufiger hört. Der ehrenamtliche Berater zeigte im Seminar „Nachbarschaftshilfe“ der VdK-Akademie, wie man einen Antrag auf Schwerbehinderung ausfüllt.
Mit der Schulung möchte der VdK Ehrenamtliche dafür gewinnen, Hilfebedürftige beim Ausfüllen von Anträgen zu unterstützen – dezentral und wohnortnah, im vertrauten Umfeld. „Viele Menschen sind unsicher, ob sie Anspruch auf eine Leistung haben oder mit dem Formular überfordert. Wenn Ehrenamtliche vor Ort in ihrem Ortsverband Betroffene dabei unterstützen, ist das klassische VdK-Arbeit, zu der wir gerne ermutigen wollen. Und es entlastet die Juristen und Berater in den Sozialberatungszentren“, sagt VdK-Landesgeschäftsführer Peter Springborn.
Wenn es jemand „im Kreuz hat“, fragt Harro Salm genau nach: Wo und was? Welche medizinischen Unterlagen liegen vor? Er erklärt, wann nach dem SGBkurz fürSozialgesetzbuch IX eine Behinderung vorliegt: Es handelt sich um gesundheitliche Einschränkungen, die länger als sechs Monate dauern und eine gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft verhindern. Bemessen werden diese Einschränkungen, die körperlich, seelisch oder geistig sein können, mit dem Grad der Behinderung (GdBkurz fürGrad der Behinderung), der von 10 bis 100 reicht. Je nach Höhe dieses Grades sind bestimmte Hilfen oder Nachteilausgleiche möglich.
An einem Musterfall führt Salm die Teilnehmenden durch den Antrag. Der Betroffene leidet an COPD sowie Depressionen und hat einen Bandscheiben-Vorfall erlitten. „Es ist wichtig, dass man alle medizinischen Unterlagen einreicht und diese selbst beim Arzt anfordert, damit der Antrag vollständig ist und nicht unnötig Zeit verloren geht“, unterstreicht Salm.
Die Unterlagen, etwa auch Reha- oder Klinik-Berichte sollten nicht älter als zwei, maximal drei Jahre alt sein, um den aktuellen Gesundheitsstatus abzubilden. Diese sollte man in die Beratung mitbringen, damit nichts vergessen wird und abhängig von der Krankheit Facharzt-Berichte umfassen.
Merkzeichen angeben
Da Menschen oft mehrere Gesundheitsstörungen haben, kann sich der Grad der Behinderung aus mehreren einzelnen Werten zusammensetzen – diese Zusammensetzung wird dann im sogenannten Feststellungsbescheid aufgelistet. Die Werte werden jedoch nicht addiert, sondern fließen in einen Gesamt-GdBkurz fürGrad der Behinderung ein. Dabei werden sie je nach Schwere der Einschränkung unterschiedlich gewichtet. Welche Krankheit welchen Wert erhält, ist in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen geregelt. Ab einem GdBkurz fürGrad der Behinderung von 50 gilt ein Mensch als schwerbehindert und kann einen Schwerbehinderten-Ausweis beantragen.
Unter bestimmten Voraussetzungen können entsprechende Merkzeichen wie „G“ für erhebliche Gehbehinderung oder „H“ für Hilflos eingetragen werden. Doch im saarländischen Antragsformular gibt es keine Möglichkeit, diese Merkzeichen einzeln zu beantragen, wie es auf Formularen in anderen Bundesländern möglich ist – der VdK macht sich hier für eine Änderung stark. Salm empfiehlt, die gewünschten Merkzeichen bei der Auflistung der Krankheits-Diagnosen dazuzuschreiben. Der Schwerbehinderten-Ausweis ist grundsätzlich fünf Jahre lang gültig, kann aber auch unbefristet ausgestellt werden.
Immer wieder kämen Menschen in die Beratung, die einen höheren GdBkurz fürGrad der Behinderung durch einen sogenannten Neufeststellungsantrag anstrebten, obwohl sie bereits als schwerbehindert gelten. „Hier weise ich immer darauf hin, dass das auch nach hinten losgehen und eine Herabstufung erfolgen kann, die zum Verlust der Schwerbehinderten-Eigenschaft führt. Das ist ein Vabanque-Spiel“, sagt Salm.
Ein GdBkurz fürGrad der Behinderung von 50 bringt verschiedene Vorteile mit sich: Die Menschen können zwei Jahre früher ohne Abschläge in Rente gehen. „Wer gerade einen Rentenantrag gestellt hat, sollte dessen Ergebnis unbedingt abwarten, bevor ein Neufeststellungsantrag gestellt wird“, rät Salm. Weitere Vorteile sind ein besonderer Kündigungsschutz und in der Regel eine zusätzliche Urlaubswoche. Wer einen Grad der Behinderung von 30 oder 40 hat, kann eine Gleichstellung beantragen – dann gilt auch für ihn der besondere Kündigungsschutz. Voraussetzung ist allerdings, dass der Arbeitsplatz durch die Behinderung tatsächlich gefährdet, aber noch leidensgerecht ist.
Lange Klageverfahren
Wurde der Antrag auf Feststellung einer Behinderung abgelehnt, können Betroffene mit Hilfe der Sozialrechtsberatung des VdK Widerspruch einlegen. Sollte auch dieser abgelehnt werden, sei es mitunter aussichtsreicher, einen neuen Antrag zu stellen. „Natürlich können Sie den Rechtsweg der Klage beschreiten, doch dann kann es passieren, dass Sie alt werden“, sagt Salm. Die Klage kann jedoch nötig sein, wenn jemand auf den besonderen Kündigungsschutz oder die frühere Altersrente angewiesen ist.
Ein Vorteil des Klageverfahrens: Die medizinischen Unterlagen werden nicht vom medizinischen Dienst des Landesamtes selbst, das Verfahrensgegner ist, sondern vom Sozialgericht als übergeordneter Instanz geprüft.
Nach Erfahrung der VdK-Sozialrechtsberatung dauern bereits Antragsverfahren auf Feststellung eine Schwerbehinderung beim Landesamt für Soziales drei bis sechs Monate, im Einzelfall sogar noch länger. Bei Klageverfahren müssen Betroffene in der Regel mit einer Verfahrensdauer von mindestens einem Jahr rechnen.