Kategorie Gesundheit

„Ich habe allein mit dem Tod gekämpft“

2020 erlitt Manfred Schneider eine schwere Corona-Infektion. Der damals 63-Jährige ist einer der ersten schweren Covid-Fälle, die im März 2020 im Homburger Uniklinikum behandelt werden. Fünf Wochen lang lag er im Koma.

Ein halbes Jahr später erholt sich Manfred Schneider von seiner Corona-Infektion auf der Insel Sylt, neben ihm seine Frau Isolde. © Privat

„Hallo Isolde“ – mit diesen zwei Worten meldet sich Manfred Schneider nach über fünf Wochen im Koma wieder bei seiner Frau. Die Pflegerin hält das Telefon an sein Ohr. Sie hat ihm eine Sprachkanüle gelegt, weil er über die Luftröhre künstlich beatmet wird. Insgesamt verbringt Schneider acht Wochen auf der Intensivstation – eine schwere und sehr einsame Zeit, in der ihn seine Frau nicht besuchen durfte.

Isolde Schneider fragt sich heute, wie sie diese Zeit überstanden hat. „Da viele Menschen meinen Mann kennen, haben wir sehr viel Zuspruch bekommen, das war der Wahnsinn.“ Außerdem schreibt sie ein Tagebuch und versucht, sich am Positiven festzuhalten. „Anfangs habe ich täglich angerufen, doch es gab nichts Neues. Ich war froh, wenn es hieß: Ihr Mann ist stabil“, sagt die 63-Jährige, die ebenfalls an Corona erkrankte, aber einen leichten Verlauf hatte. Bei ihrem Mann hingegen wurde die Kurzatmigkeit so stark, dass er zwei Tage nach dem positiven Testergebnis ins Krankenhaus kam und bald darauf ins künstliche Koma versetzt werden musste – „das hat er mir noch am Telefon erzählt“, erinnert sich seine Frau.

Im Koma träumt Manfred Schneider vom Tod und von seiner Beerdigung. „Die Träume waren so real, als hätte ich sie tatsächlich erlebt. Ich fühlte mich sehr allein gelassen, weil niemand zu mir durfte. Ich habe allein mit dem Tod gekämpft“, erinnert sich Schneider. Auch die Zeit nach dem Koma ist für ihn traumatisch. „Die meisten Menschen können sich gar nicht vorstellen, wie das ist, mit vollem Bewusstsein da zu liegen, mit all diesen Schläuchen und Kabeln, und sich nicht bewegen zu können. Man trinkt aus einem Strohhalm, weil man nicht einmal ein Glas halten kann. Man kann sich nicht auf die Seite drehen. Der Körper ist völlig am Ende.“ Die Erinnerung an diese Hilflosigkeit macht ihm noch heute Angst. „Ich möchte das kein zweites Mal durchleben.“

Schon auf der Intensivstation lernt er, sich aufzusetzen und aufzustehen. Mit seiner Frau ist er über Skype in Kontakt. Der Wechsel auf die Normalstation ist eine Befreiung. „Auf der Intensivstation piept und blubbert es ständig. Es ist, als käme man von der Großstadt aufs Land, so still.“ Seine Frau darf ihn jetzt täglich besuchen. Es geht aufwärts – in kleinen Schritten. „Man muss alles neu lernen. Man ist froh über jeden Schritt. Wenn man wieder allein auf die Toilette gehen kann, ist man schon weit gekommen!“

Geburtstag im Rollstuhl

Seinen 64. Geburtstag feiert er am 26. Mai 2020 im Rollstuhl vor dem Krankenhaus, zusammen mit seinen Töchtern, die ihn drei Monate nicht mehr gesehen haben – es ist wie eine Wiedergeburt. Anfang Juni wird er in die Reha entlassen. Weil er sich durch die Beatmung einen multiresistenten Keim eingefangen hat, muss er die Reha auf seinem Zimmer verbringen.

14 Wochen nach seiner Einlieferung ins Krankenhaus kann Manfred Schneider endlich nach Hause zurück. Zu Weihnachten bringt er der Station einen Präsentkorb vorbei, um sich zu bedanken. „Die Pflegekräfte haben sich sehr gut gekümmert, die machen einen tollen Job für wenig Geld“, sagt Schneider.

Noch heute kämpft er mit den Folgen der Infektion „Ich bin nicht mehr so leistungsfähig wie früher und vergesse Dinge, die ich machen wollte. Wenn ich zu viel im Garten arbeite, muss ich abends Schmerzmittel nehmen. Je mehr ich mache, desto schlechter geht es mir“, sagt der 65-Jährige, der verschiedene Medikamente nehmen muss – unter anderem gegen Herzrhythmusstörungen, die er vor der Infektion nicht hatte. 

Auch deshalb nimmt er an einem Forschungsprojekt der Uniklinik Ulm zu Covid-19-Spätfolgen an Lunge und Herz teil. Dort wurde eine Lungenschwäche sowie eine abklingende Herzmuskelentzündung bestätigt und eine Lungen-Therapie empfohlen.

Immerhin liegt seine Lungenfunktion inzwischen bei 67 Prozent – bei seiner Entlassung waren es noch 25 Prozent. Auch Spaziergänge von bis zu fünf Kilometern schafft Schneider, der früher so gerne gewandert ist und sich mutmaßlich bei einer Wanderung angesteckt hat, wieder. „Ich bin zwar noch lange nicht genesen, aber ich habe überlebt, und das zählt.“