„Die Welt sozialer machen“
Der frühere Landrat Clemens Lindemann ist neuer Vorsitzender des VdK-Kreisverbandes Saarpfalz. Als Landrat setzte er sich dafür ein, dass Langzeitarbeitslose langfristig eine Perspektive bekommen. Im VdK möchte sich der 73-Jährige für mehr Gerechtigkeit stark machen.

„Lachen befreit die Seele“ – eine optimistische Einstellung zum Leben zeichnet Clemens Lindemann aus. Der 73-Jährige hat mehrmals gegen Krebs gekämpft und dadurch den Wert „jedes einzelnen Tages“ kennen und schätzen gelernt – und auch die Sinnlosigkeit jedes Streits. „Die Tage, die wir gemeinsam haben, sollten wir uns das Leben leichter machen und nicht schwerer. Sie könnten viel schneller vorbei sein, als man plant.“
Wie zerbrechlich zwischenmenschliche Beziehungen sind, zeigte sich dann auch zu Beginn der Corona-Pandemie, als Grenzübergänge geschlossen und Menschen mit französischem Autokennzeichen schief angeschaut wurden. „Das zeigt, wie schnell die Freundschaft vorbei sein kann und wie wichtig es ist, sie zu pflegen“, sagt Lindemann. Als Landrat setzte er sich für die deutsch-französische Zusammenarbeit ein, sei es beim Umweltschutz oder bei Verkehrsthemen.
Einzigartiges Programm
Ein großes Ziel für den früheren Landrat war es, Langzeitarbeitslosen eine Perspektive zu geben. „Arbeit hat etwas mit Würde zu tun. Menschen haben ein ganz anderes Selbstwertgefühl, wenn sie arbeiten und dafür Geld bekommen.“ Bei der Stadt Saarbrücken schuf er als Leiter des Sozialamts ein Beschäftigungsprogramm für Arbeitslose, das einzigartig in der Bundesrepublik war.
Der große Unterschied des von Lindemann initiierten Programms: Arbeitslose bekamen Arbeitsverträge und waren dadurch arbeitslosen- und rentenversichert. „Sozialhilfeempfängern einen Arbeitsvertrag zu geben, konnte sich damals keiner vorstellen. Es gab viel Gelächter, aber später haben es alle nachgemacht“, erinnert sich Lindemann. Durch die gemeinnützigen Arbeitsverhältnisse konnte der Saarpfalz-Kreis zahlreiche Kulturdenkmäler instand setzen und pflegen – in einem Ausmaß, wie es mit Haushaltsmitteln nicht möglich gewesen wäre.
„Die Leute hatten eine sinnvolle Beschäftigung. Die Gesellschaft hat vom Mehrwert der gemeinnützigen Arbeit profitiert. Das Geld mussten wir ja sowieso ausgeben. Es ist besser, sinnvolle Arbeit zu finanzieren als sinnloses Nichtstun zu alimentieren“, ist Lindemann überzeugt.
Nach der Hartz-IV-Reform im Jahr 2005 gab es zwar weiterhin Arbeitsgelegenheiten, besser bekannt als „1-Euro-Jobs“. Doch diese waren zeitlich begrenzt und zielten darauf ab, die Menschen in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren. Ein Ansatz, der vielen Langzeitarbeitslosen nicht gerecht wird, findet Lindemann. „Wir brauchen einen öffentlich geförderten sozialen Arbeitsmarkt. Statt die Menschen in Hartz-IV hängen zu lassen, sollte man ihnen eine Chance geben.“ Nur ein öffentlich geförderter Arbeitsmarkt könne es leisten, auf die Menschen einzugehen und Defizite aufzuarbeiten. Dass das Teilhabechancengesetz Langzeitarbeitslosen eine Beschäftigung von bis zu fünf Jahren ermöglicht, begrüßt Lindemann.
Prävention ist für ihn der Schlüssel, um soziale Probleme abzufedern und Familien mit geringem Einkommen zu unterstützen – zum Beispiel durch Familienzentren. „Man muss rechtzeitig helfen, bevor etwas passiert. Die Menschen brauchen Ansprechpartner, an die sie sich wenden können.“ In der Pflege hat Lindemann in 30 Jahren „dramatische Anstiege“ bei der Zahl an Pflegebedürftigen erlebt, was zu einem steigenden Beratungsbedarf führte. Lindemann war am Aufbau des Pflegestützpunktes beteiligt und förderte den Ausbau von Plätzen für Tages- und Kurzzeitpflege sowie von geriatrischen Reha-Angeboten.
Seine Erfahrungen und Netzwerke möchte der frühere Politiker jetzt im VdK-Kreisverband Saarpfalz einbringen, zu dessen Vorsitzenden er im September gewählt wurde. Den Sozialverband kennt er von zahlreichen Veranstaltungen, zu denen er immer gerne gegangen ist. Nicht nur wegen der familiären Atmosphäre, sondern auch wegen dessen sozialpolitischer Positionen.
Einsamkeit bekämpfen
„Der VdK steht für das, wofür ich mich als Politiker eingesetzt habe: Er sorgt sich um andere und will die Welt sozialer und gerechter machen“. Was ihn zurzeit besonders umtreibt, sind die hohen Eigenanteile, die Pflegebedürftige in Heimen zahlen müssen. „Diese Eigenanteile müssen gedeckelt werden, sonst macht man die Leute arm, sie verlieren ihre ganzen Ersparnisse.“
Auf Kreisverbandsebene sieht Lindemann viele soziale Themen: die Menschen bei Rente und Pflege beraten und sich gegen Barrieren stark machen. Auch die Einsamkeit älterer Menschen ist für ihn ein großes Thema. „Es kann nicht sein, dass der Besuch beim Doktor der einzige soziale Kontakt ist. Wir brauchen mehr Angebote vor Ort, bei denen Senioren sich zum Mittagessen treffen können und die nötigen Fahrdienste, die sie dorthin bringen. Alleine zu Hause zu sitzen, tut den Menschen nicht gut“, sagt Lindemann.
Das weiß der 73-Jährige aus eigener Erfahrung. Bei seiner Krebserfahrung habe es ihm geholfen, andere Menschen zu treffen. „Es hilft nichts, sich zu Hause einzusperren. Es gab viele Menschen, die mir Mut gemacht und mich aufgebaut haben. Aber das bekommt man nur mit, wenn man unter Leute geht.“ Und so erinnert Lindemann zum Abschluss wieder daran, wie wichtig das gemeinsame Lachen ist und wie sinnlos jeder Streit. „Dass man sich zusammen freuen kann, macht die Seele frei. Das Leben ist zu kurz, um es sich unnötig schwer zu machen.“
Zur Person
Clemens Lindemann ist 1947 geboren und war von 1985 bis 2015 Landrat des Saarpfalz-Kreises. Nach seinem Jura-Studium in Saarbrücken und Bonn begann der Katholik und Sozialdemokrat 1975 seine berufliche Karriere als Justiziar der Landeshauptstadt Saarbrücken. Ab 1980 leitete er das Sozialamt und entwickelte ein Beschäftigungsprogramm für Sozialhilfeempfänger mit, das bis heute Modellcharakter in Deutschland hat. Als Landrat setzte er sich unter anderem dafür ein, dass Langzeitarbeitslose durch gemeinnützige Arbeiten eine sinnvolle Aufgabe bekamen. 1987 rief er den Siebenpfeiffer-Preis für Journalisten ins Leben, die mit ihren Veröffentlichungen das demokratische Bewusstsein fördern. In seiner Amtszeit trieb er den Aufbau des Europäischen Kulturparks Bliesbruck-Reinheim voran. Lindemann ist verheiratet und Vater von drei Kindern – ein Kind starb in jungen Jahren an Krebs, deshalb war er Mitbegründer der Elterninitiative krebskranker Kinder. 2017 bekam Clemens Lindemann den Saarländischen Verdienstorden verliehen, 2018 das Bundesverdienstkreuz.