Kategorie Altersarmut bei Frauen Armut & Umverteilung

„Die pure Not treibt sie zu uns“

Einsamkeit und Hunger zu bekämpfen, sind das Ziel des Café63 in der Breite 63 in Malstatt. Rund 50 Menschen kommen täglich, darunter viele ältere Stammgäste.

Angela Tunc (rechts) und Anneliese Gilles (Mitte) treffen sich mehrmals in der Woche in der Breite 63 mit weiteren Frauen. Links eine Café-Mitarbeiterin. © Wimmer/VdK

Zu den Stammgästen des Cafés gehört Anneliese Gilles. Die 88-Jährige wohnt rund 400 Meter von dem Stadtteil- und Kulturcafé in Malstatt entfernt und macht sich mehrmals pro Woche mit ihrem Rollator auf dem Weg. „Für mich allein zu kochen, lohnt nicht. Außerdem freue ich mich über die Gesellschaft“, sagt die 88-Jährige, die alleine wohnt, seit ihr Mann vor 20 Jahren gestorben ist. Ein Pflegedienst unterstützt sie beim Waschen und eine Nachbarin geht für sie einkaufen. Neben dem Café besucht sie außerdem eine Tagespflege und ein Senioren-Café, so dass sie an fünf Tagen der Woche Gesellschaft hat.

Anneliese Gilles trifft sich im Café regelmäßig mit drei weiteren Frauen, die sich teilweise auch dort kennengelernt haben. „Das ist unser sozialer Treffpunkt. Zuhause wären wir ganz allein“, sagt Elfriede Müller (80). Dass das Mittagessen im Rahmen der vom Land bis Ende März geförderten Winteraktion „Das Saarland rückt zusammen“ kostenlos ist, finden die Frauen gut. Mit der Aktion will das Land soziale Härten durch gestiegene Preise abfangen. 

Auf Rädern zum Essen

„Wir kommen finanziell zwar noch über die Runden, aber ich lebe auch sehr minimalistisch und kaufe nur, was im Angebot ist“, sagt Angela Tunc. Die 78-Jährige lebt ebenfalls seit dem Tod ihres Mannes allein und ist froh über die Gesellschaft in dem Café. „Frauen wie uns, die allein sind, gibt es Tausende. Nicht jeder hat eine Breite 63!“ Deshalb fordert der Sozialverband VdK, dass statt „Essen auf Rädern“ Essensangebote mit Fahrdiensten für wenig mobile Menschen – also „auf Rädern zum Essen“ – saarlandweit ausgebaut werden. 

Rund 50 Menschen besuchen jeden Tag das Wintercafé, das von Montag bis Donnerstag geöffnet hat. Vorher gab es Mittagessen sowie Getränke und Kuchen für einen sozialen Preis. „Wir haben damals schon gemerkt, dass immer weniger Leute kamen, weil sie sich das nicht mehr leisten konnten. Jetzt kommen sie wieder alle, die pure Not treibt sie ins Haus“, sagt Anja Eisler vom Zentrum für Bildung und Beruf Saar (ZBB), das das Café betreibt.

Die Sozialpädagogin ist im Rahmen des Projektes „Teilhabe Plus für Ältere“ (siehe Infokasten) Ansprechpartnerin für ältere Menschen, die von sozialer Isolation bedroht sind. Eisler weiß, wie schwierig der Zugang ist. „Viele sitzen in ihrer Nische und können sich gar nicht vorstellen, dass es überhaupt Unterstützung gibt. Obwohl ihr Leben oft von großem Mangel geprägt ist, fällt es ihnen schwer, Hilfe anzunehmen. Da ist eine große Scham- und Hemmschwelle, deshalb müssen wir aktiv auf diese Menschen zugehen“, sagt Eisler. Diese Einschätzung bestätigt auch eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaft, wonach bis zu 60 Prozent dieser Menschen keine Grundsicherung im Alter beantragen, obwohl sie Anspruch hätten – aus Scham, Angst oder Unwissenheit. 

Rechnungs-Stalagmiten

Ein Klassiker sei, dass Briefe nicht mehr geöffnet und Mahnungen ignoriert werden, bis im schlimmsten Fall eine Stromsperre angedroht wird. Bei einem älteren Herrn hätten sich so fast 2000 Euro an Mahnungen für GEZ-Gebühren angehäuft. In seiner Tragetasche fand Eisler auch einen Bescheid über nicht zurückgezahlte Bafög-Leistungen aus 1986. „Das sind wahre Rechnungs-Stalagmiten. Hier einen Überblick über die Schulden zu bekommen, ist schwierig. Oft verstehen die Menschen nicht, was wir für Dokumente brauchen. In einem Fall brauchte ich die Steuernummer, aber gebracht wurde mir ein Bescheid über Müllgebühren“, sagt Eisler. 

Sie klärt zum Beispiel darüber auf, dass es bei einer zu niedrigen Rente einen Anspruch auf Grundsicherung gibt, verweist auf die Tafel, hilft bei Anträgen auf ein Darlehen oder auf Wohngeld. Auch bei einer Grundsteuererklärung hat sie unterstützt – es ging um ein 50 Quadratmeter kleines Häuschen. „Oft ist die Angst groß, dass einem das Haus weggenommen wird, wenn man Sozialleistungen beansprucht, aber das ist Unsinn, denn ein selbst genutztes Hausgrundstück in angemessener Größe gilt bei Bedürftigkeit als Schonvermögen“, sagt Eisler. 

Wohnungsverlust

Viele Probleme kämen eher zufällig im Gespräch zutage und nicht durch gezielte Anfragen. Die Fälle reichen vom Selbständigen, der nur 200 Euro Rente bezieht bis zu Menschen, die trotz Arbeit ihre Wohnung verloren haben. „Das gibt es häufiger, als man denkt – nach einer Trennung, weil der Vermieter Eigenbedarf anmeldet oder weil sie durch Schimmel oder einen Brand unbewohnbar geworden ist“, sagt Eisler. Umso wichtiger sei es, dass die Betroffenen schnell Zugang zu Hilfen und Beratung bekämen. 
 

Projekt „Teilhabe Plus für Ältere“

Das Projekt „Externer Link:Teilhabe Plus für Ältere“ des ZBB ist eines von bundesweit rund 80 Projekten, die durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und durch den Europäischen Sozialfonds Plus (ESF Plus) von 2022 bis 2027 gefördert werden – und das einzige im Saarland. Ziel ist die Bekämpfung von Einsamkeit und sozialer Isolation bei Menschen ab 60 Jahren durch offene Seniorenarbeit und Beratungs- sowie Unterstützungsangebote.