Kategorie Pflegebedürftige Kinder

„Unsere Kinder sind kleine Wunder“

Von: Maria Wimmer

Vor 20 Jahren wurde das Kinderhospiz- und Palliativteam Saar gegründet, um Familien von schwerkranken Kindern zu unterstützen. Doch Tod und Krankheit sind ein Tabu – vor allem bei Kindern.

Krankheit und Tod von Kindern sind ein Tabuthema – Christopher Huber und Stefanie Molter vom Kinderhospizteam möchten betroffene Familien besser unterstützen.

Sieben Jahre kümmert sich das Kinderhospiz- und Palliativteam Saar im Durchschnitt um ein Kind. Voraussetzung ist eine lebensverkürzende Erkrankung ohne Aussicht auf Heilung. Häufig sind Gen-Defekte und Erbkrankheiten der Grund, oder es betrifft Kinder, die viel zu früh auf die Welt kamen. Der Großteil ist schwerst-mehrfachbehindert und auf den Rollstuhl angewiesen. Viele leiden an Spastiken, Wirbelsäulen-Verkrümmungen, müssen über eine Sonde ernährt oder beatmet werden. Krebserkrankungen machen eher einen geringen Anteil aus. 

Nur wenige werden älter als 27 Jahre. Dennoch leben viele länger als vorhergesagt. „Unsere Kinder sind kleine Wunder. Oft überleben sie Krisen und kämpfen sich raus, was oft auch Ärzte überrascht. Deshalb sollte man bei Kindern sehr vorsichtig mit Prognosen sein. Manche haben auch längere, stabile Phasen“, sagt Mitarbeiterin Stefanie Molter. 

Aus diesem Grund wurde vor genau 20 Jahren das Kinderhospiz- und Palliativteam Saar vom St. Jakobus Hospiz ins Leben gerufen. „Vor unserer Gründung wurden Kinder von Hospizdiensten für Erwachsene mitversorgt. Doch sie haben nicht nur andere Bedürfnisse, sie brauchen auch eine andere Versorgung. Sie werden ja über mehrere Jahre betreut und nicht nur ein paar Monate, wie das bei Erwachsenen die Regel ist“, sagt Molter. 

Tabu Kinderhospiz

Auch der Name Kinderhospiz sorgt bei vielen für Verwirrung: Während das Hospiz für Erwachsene in der Regel die letzte Station ist, sind Kinderhospize oft ein Ort, um die Familien für bis zu vier Wochen pro Jahr zu entlasten, weil dort die pflegerische Versorgung garantiert ist. Dass Kinder dort sterben, sei eher die Ausnahme. Im Saarland gibt es derzeit kein stationäres Kinderhospiz, allerdings soll auf dem Universitätsklinikum in Homburg 2026 ein Kinder- und Erwachsenenhospiz entstehen. Das Kinderhospiz- und Palliativteam Saar selbst arbeitet ausschließlich ambulant.

Für Außenstehende sei nicht nachvollziehbar, dass eine Palliativversorgung bei Kindern anders aussehe und die Begleitung oft über Jahre gehe. So würden Familien gelegentlich darum bitten, das Auto mit dem Hospiz-Logo nicht vor dem Haus zu parken, um nicht in Erklärungsnot zu geraten.

„Der Begriff Hospiz ist in den letzten Jahren viel präsenter in der Öffentlichkeit geworden. Bei Kindern sind Krankheit und Sterben aber noch sehr stark tabuisiert“, sagt Christopher Huber. Er leitet das Kinderhospiz- und Palliativteam, das rund 180 Familien betreut. Schätzungen zufolge leben im Saarland rund 500 Kinder mit einer lebensverkürzenden Erkrankung, bundesweit sind es rund 50.000 Kinder. „Wir gehen davon aus, dass es eine hohe Dunkelziffer gibt von Kindern, die wir nicht erreichen.“ 

Umfassende Beratung

Dabei profitieren die Familien durch eine umfassende Beratung bei allen Fragen rund um die pflegerische Versorgung und Entlastungsmöglichkeiten, etwa durch Ehrenamtliche. Das Team unterstützt auch bei Anträgen auf Hilfsmittel oder einen Pflegegrad. Weitere Angebote sind Trauerbegleitung, von den Kassen nicht unterstützte Therapien wie Musik-, Mal- und tiergestützte Therapie und Projekte für Geschwisterkinder. Wichtig sei aber auch die psychosoziale Unterstützung zum Beispiel bei Fragen, wie mit einem schweren Krankheitsverlauf umgegangen werden soll oder wie Selbsthilfe-Potenziale aktiviert und Entlastung organisiert werden können. 

Verschlimmert sich der Zustand eines Kindes, kann eine spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV) ergänzend zur Regelversorgung notwendig sein. Dazu kann das einrichtungseigene Kinderpalliativteam hinzugezogen werden. Hier kümmert sich ein multiprofessionelles Team aus Ärzten, Pflegekräften und Sozialarbeitern um die Behandlung und Linderung von Schmerzen, Atemnot und anderen belastenden Symptomen. Bei der Einführung der SAPV war das Saarland bundesweit Vorreiter, eine SAPV für Kinder gibt es hier deshalb bereits seit 15 Jahren.

Bei der Versorgung schwerbehinderter Kinder im Saarland gebe es dennoch viele Probleme. Es fehlten Logo-, Ergo- und Physiotherapeuten, die auf spezielle Krankheiten und auf Kinder spezialisiert sind, zudem seien oft keine Hausbesuche möglich. Das Gleiche gelte für Psychotherapeuten, bei denen es lange Wartelisten gebe. Besonders schlimm sei die Wartezeit bei den Autismus-Ambulanzen mit etwa drei Jahren. Solange blieben die Familien wegen fehlender Diagnose ohne Unterstützung. Ein weiteres Problem: Wenn Eltern selbst ins Krankenhaus müssen, fehle es an Kurzzeitpflege-Plätzen, vor allem für unter Sechsjährige. 

Versorgung verbessern

Für Kinder mit körperlichen Einschränkungen fehle zudem ein darauf spezialisiertes sozialpädiatrisches Zentrum (SPZkurz fürSozialpädiatrisches Zentrum). Derzeit gibt es im Saarland nur ein SPZkurz fürSozialpädiatrisches Zentrum in Neunkirchen, dessen Schwerpunkt allerdings auf neurologischen und psychosozialen Entwicklungsauffälligkeiten liegt. Die Familien müssten derzeit weite Wege in andere Bundesländer in Kauf nehmen, um entsprechende Diagnosen oder Hilfsmittel zu bekommen bzw. die Therapie überprüfen zu lassen oder neue Hilfsmittel zu erhalten. „Gerade bei seltenen Erkrankungen ist es oft ein weiter Weg bis zur Diagnose und adäquaten Therapie. Das können die niedergelassenen Kinderärzte aufgrund der Seltenheit und Komplexität gar nicht leisten“, sagt Christopher Huber. 

Durch die interdisziplinäre Versorgung eines SPZkurz fürSozialpädiatrisches Zentrum würden den Familien viele Termine und Einzeluntersuchungen bei Spezialisten wie Orthopäden, Lungenfacharzt oder Neurologen erspart. Denn jeder Termin bedeute viel Aufwand und nicht alle Familien hätten ein behindertengerechtes Auto. Etliche seien deshalb mit Bus und Bahn unterwegs. „Unsere Familien sind immer nur am Fahren. Was sie dringend brauchen, ist eine medizinische Versorgung aus einer Hand“, ergänzt Molter.

Ein großes Thema sei zudem die fehlende pflegerische Versorgung. „Viele Familien finden keinen Pflegedienst und stehen auf einer Warteliste. Wenn es dann klappt, kann der Pflegedienst wegen des akuten Personalmangels viel weniger Stunden leisten, als genehmigt wurden. Einen Großteil der Pflege leisten die Familien selbst, sie werden zu Pflegeexperten. Es gibt Mütter, die drei Mal am Tag in die Schule fahren und den Katheter wechseln. Zudem haben unsere Kinder häufiger Infekte, manche sind mehrmals im Jahr im Krankenhaus. Berufstätig zu sein ist da kaum möglich“, sagt Molter. Es gebe viel zu wenig Plätze in inklusiven Kitas, die Nachmittags- und Ferienbetreuung an Förderschulen sei nicht ausreichend. Die Trennungsquote bei den Eltern sei hoch, viele Mütter alleinerziehend und von Armut bedroht. 

Um Eltern stundenweise zu entlasten, engagieren sich beim Kinderhospizteam rund 100 Ehrenamtliche als „Zeitschenker“, die vorher ein Praktikum durchlaufen und regelmäßig begleitet werden. Zwei Mal im Jahr werden Feste organisiert, auch wenn der Aufwand bei manchen Kindern sehr hoch ist. „Es gibt Kinder, die liegend transportiert werden müssen. Aber die Freude ist umso größer, einmal raus zu kommen und etwas anderes zu erleben“, sagt Molter. Ganz nach dem Motto des Teams: „Es gibt noch viel zu leben.“

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Mit dem „Netzwerk für das schwerkranke Kind“ informiert das Kinderhospizteam Eltern von schwerkranken oder behinderten Kindern über Hilfen, Leistungen und Ansprechpartner.