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Bilanz der Sozialrechtsberatung 2022: VdK erstreitet vier Millionen Euro

Der VdK Saarland hat 2022 für seine Mitglieder mehr als vier Millionen Euro an Nachzahlungen und Rentenansprüchen erstritten. Für ein VdK-Mitglied, das Opfer von schwerer häuslicher Gewalt wurde, erkämpfte der VdK die Zahlung einer Rente nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG).

Im Bild von links: Landesgeschäftsführer Peter Springborn, Teamleiterin Sandra Metzen, VdK-Sozialrechtsberaterin Alexandra Schmitt-Aga und VdK-Mitglied Maria Aparecida de Oliveira. © VdK Saarland

Der Sozialverband VdK Saarland hat im Geschäftsjahr 2022 für seine Mitglieder mehr als vier Millionen Euro an Nachzahlungen und Rentenansprüchen erstritten. Insgesamt wurden knapp 4000 Verfahren abgeschlossen. Für VdK-Mitglied Maria Aparecida de Oliveira, das Opfer von schwerer häuslicher Gewalt wurde, erkämpfte der Sozialverband die Zahlung einer Rente nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG).

Drei Jahre nach der Corona-Pandemie verzeichnet der Sozialverband VdK einen neuen Mitgliederrekord: Knapp 58.000 Menschen zählt der VdK Saarland, das sind 6000 mehr als Anfang 2020 und pro Jahr ein Wachstum zwischen fünf und sechs Prozent. Im Vergleich zu 2014 stieg die Zahl um fast 20.000, also mehr als ein Drittel.

„Der Zuwachs ist für uns als Verband erfreulich. Er ist aber auch ein Indikator dafür, dass etwas schiefläuft, weil immer mehr Menschen es nicht ohne unsere Hilfe schaffen, ihre Rechtsansprüche gegenüber Behörden durchzusetzen. Unsere Mitglieder haben einen massiven Rechtsberatungsbedarf, weil die Gesetze inzwischen so komplex sind, dass man sie kaum noch versteht. Ohne die Kompetenz unserer Juristen, die auf das Sozialrecht spezialisiert sind, würden viele nicht zu ihrem Recht kommen“, sagt Landesgeschäftsführer Peter Springborn.

Die Fälle umfassen Anträge, Widersprüche, Klagen und Berufungen gegenüber Kostenträgern nach dem Sozialrecht. An der Spitze stand 2022 der Bereich Schwerbehinderung, gefolgt von der gesetzlichen Rentenversicherung, Krankenversicherung und Pflegeversicherung. Im Bereich der Krankenversicherung führte jeder zweite Widerspruch und fast jede zweite Klage zum Erfolg. Auch bei der Rentenversicherung war jede zweite Klage erfolgreich, im Bereich der Schwerbehinderung sogar fast zwei Drittel. Noch höher sind die Chancen auf einen erfolgreichen Widerspruch in der Pflegeversicherung: Hier lag die Quote 2022 bei mehr als 50 Prozent, in der Klage konnten sogar drei Viertel der Verfahren für die Mitglieder gewonnen werden.

Insgesamt führten die elf hauptamtlichen VdK-Juristen und die ehrenamtlichen Mitarbeiter fast 14.000 Beratungsgespräche. Die VdK-Juristen helfen Mitgliedern zum Beispiel, wenn ein Grad der Behinderung (GdBkurz fürGrad der Behinderung) nicht anerkannt, ein medizinisches Hilfsmittel nicht gewährt oder ein Antrag auf Rehabilitation abgelehnt wurde. Die Nachzahlungen umfassen zum Beispiel Krankengeld, Erwerbsminderungsrente oder Witwen- und Waisenrente. Ehrenamtliche unterstützen beim Ausfüllen von Anträgen, etwa auf Schwerbehinderung oder Erwerbsminderung.

Einer der häufigsten Verfahrensgegner ist das Landesamt für Soziales. „Mit dieser Behörde haben wir leider viele Schwierigkeiten. Schon Antragsverfahren auf Feststellung eines Grades der Behinderung dauern viele Monate, bei der Eingliederungshilfe nach unseren Erfahrungen selten unter einem Jahr. Wird der Antrag abgelehnt und wir legen Widerspruch ein, zieht sich das Verfahren oftmals erneut bis zu einem Jahr. Für die Betroffenen ist das extrem zermürbend und belastet sie zusätzlich zu ihrer gesundheitlichen Einschränkung“, sagt Sandra Metzen, Teamleiterin der Juristen.

Rente für Gewaltopfer

Ein Extrembeispiel ist der Fall von Maria Aparecida de Oliveira, die nach einer grausamen Gewalttat insgesamt über elf Jahre kämpfen musste, um ihr Recht durchzusetzen. Dies gelang jedoch erst in einem Klageverfahren gegen das Landesamt für Soziales, das durch das Sozialgericht gezwungen wurde, zwei ablehnende Bescheide aufzuheben.

Im Sommer 2011 war die heute 52-Jährige von ihrem damaligen Mann über mehrere Wochen lang brutal misshandelt, eingesperrt, mit dem Tod bedroht und sogar vergewaltigt worden. Erst als sie sich einem Nachbarn anvertraute, der ihr eine Wohnung anbot, gelang ihr die Flucht. Ein halbes Jahr nach der Tat stellte sie einen Antrag auf Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG).

Bis heute leidet sie an einer posttraumatischen Belastungsstörung, meidet das öffentliche Leben und hat Angst vor Dunkelheit, geschlossenen Räumen und erschrickt, wenn jemand sich von hinten nähert. Am Eingang ihrer Wohnung hängt eine Kamera, eine Fluchttür hat sie immer im Blick. An ihrer rechten Hand, die der Täter ihr damals gebrochen hatte, trägt sie eine Bandage und muss regelmäßig Schmerzmittel nehmen. „Er hat mit einem Messer in der Hand gedroht, mich umzubringen. Mein Körper war voller blauer Flecken. Ich hatte Todesangst und mich deshalb nicht getraut, die Polizei zu rufen. Mein Leben war zerstört, ich war niemand mehr. Kein Mensch hat das Recht, einen so kaputt zu machen“, sagt de Oliveira.

Dennoch lehnte das Landesamt im Mai 2016 den Antrag ab. De Oliveira legte sofort Widerspruch ein, woraufhin die Behörde im November ein nervenärztliches Gutachten in Auftrag gab. Auf dessen Grundlage erging im Mai 2017 – also genau ein Jahr später – erneut ein ablehnender Bescheid. Demnach läge ab 2014 nur noch eine „leichte psychische Störung“ vor, da das Opfer in diesem Jahr sowohl die ambulante Therapie beendet habe als auch das Strafverfahren gegen den Beschuldigten abgeschlossen wurde. Als weiterer Grund wurde die Tatsache aufgeführt, dass das Opfer berufstätig war.

Statt wie bisher einem Grad der Schädigung (GdSkurz fürGrad der Schädigungsfolgen) von 30 erkannte das Landesamt dem Opfer ab 2014 nur noch einen GdSkurz fürGrad der Schädigungsfolgen von 20 zu – mit der Folge, dass die Betroffene keinen Anspruch auf eine monatliche Rente von damals rund 127 Euro hatte. Diese monatlichen Versorgungsbezüge stehen Gewaltopfern nach dem OEG erst ab einem Grad der Schädigung von 30 zu, wenn die Schädigung länger als sechs Monate besteht.

Das VdK-Mitglied legte im August 2017 erneut Widerspruch ein, der im März 2018 wieder abgelehnt wurde. Gegen diesen Bescheid zog Maria Aparecida de Oliveira mit Hilfe des VdK vor das Sozialgericht – und gewann. Das Gericht gab ein eigenes Gutachten in Auftrag. Dieses attestierte dem Opfer im September 2019 eine posttraumatische Belastungsstörung mit Chronifizierung und Panikstörung und einem GdSkurz fürGrad der Schädigungsfolgen von 30 attestiert – und das durchgängig seit 2011.

Dennoch dauert es noch weitere Jahre bis zum Erfolg. Unter anderem weil das Landesamt das neue Gutachten nicht akzeptierte, so dass das Gericht eine ergänzende Stellungnahme einforderte. Zudem erkannte das Landesamt einen GdSkurz fürGrad der Schädigungsfolgen von 30 an – allerdings erst ab 2017 und nicht ab 2014, was dem vom Gericht in Auftrag gegeben Gutachten widersprach. Die Anfechtung dieser Teilanerkenntnis führte zu weiteren Verzögerungen.

Erst im März 2022 erhält Maria Aparecida de Oliveira endlich die erlösende Post vom Sozialgericht, das die Bescheide des Landesamts aufhebt und ihr einen GdSkurz fürGrad der Schädigungsfolgen von 30 ab 2011 zuerkennt. Jedoch dauert es weitere neun Monate, bis das VdK-Mitglied die Rente sowie die rückwirkende Nachzahlung bekommt – den sogenannten Ausführungsbescheid vom Landesamt erhält es nämlich erst im Januar 2023. „Dass ein Verfahren so lange dauert, ist echt außergewöhnlich. Was dem Opfer durch den Täter angetan wurde, ist schlimm genug. Dass dieses Leid dann noch durch die Behörden klein geredet und in langatmigen Verfahren in Frage gestellt wird, ist eine extreme Belastung. Andere hätten längst aufgegeben“, sagt Alexandra Schmitt-Aga, die das Verfahren geführt hat.

Ihren Kampf zieht de Oliveira nun seit zwölf Jahren durch. „Ich kämpfe für mein Recht, auch wenn der Weg sehr schwer und schmerzhaft ist. Doch wenn ich mich aufgebe, hätte der Täter gewonnen.“ Ihre Arbeit als Pflegehilfskraft bezeichnet sie als Therapie. „Die Arbeit hat mich abgelenkt. Sie war das einzige, was mich am Leben gehalten hat. Meine Kollegen sind meine Ersatzfamilie.“

Ihren Leidensweg öffentlich zu machen, ist der 52-Jährigen deshalb ein Herzensanliegen, um anderen Frauen Mut zu machen und für eine bessere Unterstützung von Opfern zu werben. „Wenn ich damals gewusst hätte, was ich heute weiß, hätte ich ganz anders gehandelt und viel schneller Hilfe gefunden. Vor allem ausländische Frauen kennen weder Frauenhäuser noch die anonyme Ambulanz für Gewaltopfer auf dem Winterberg. Sie kennen ihre Rechte nicht, weil es zu wenig Informationen gibt – zum Beispiel als Infoflyer in Kliniken oder Arztpraxen“, sagt die gebürtige Brasilianerin. Aus Scham und Angst würden viele Opfer die Schuld zuerst bei sich suchen und bei ihrem gewalttätigen Partner bleiben.

red

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